Sonntag, 14. Juli 2013

Benachteili- gungsindex

neu: Leserbrief vom 1.11.2013 zur aktuellen Diskussion der Ergebnisse für den Index für Vermutungsgebiete sozialer Problemlagen ganz unten auf der Seite!


Gerechtigkeit nach aktuellen Zahlen


Der Bremer Benachteiligungs- und Sozialindex in der Diskussion


Multifunktionaler Universalindex oder statistisch verpacktes Politikum?



Bremen war ein Vorreiter bei der Entwicklung eines sogenannten Benachteiligungsindexes, um die Probleme segregierter Armut auf der Ebene von Ortsteilen erfassen zu können und anhand dieser Daten auch die Gebietsauswahl des städtebaulichen Förderungsprogramms WiN abzusichern.

Andere Städte haben inzwischen zwar auch Indikatoren für diese Zwecke entwickelt, wobei sie allerdings nicht den Bremer Index als positives Vorbild gewählt haben.

Die Gründe dürften in einigen methodischen Unzulänglichkeiten liegen, die durchaus praktische Auswirkungen haben. Eine Indexkonstruktion, die sich stärker an den üblichen Einzelindikatoren hält, würde so beispielsweise mehrfach andere Gebiete ausweisen, die besondere Fördermaßnahmen benötigen.

Der Benachteiligungsindex ist daher nicht nur eine Frage der statistischen Indexbildung, sondern ein Politikum. Das gilt nicht zuletzt dann, wenn diese Größe als Universalindex benutzt wird, mit dessen Hilfe bewertende Rangreihen für die Entwicklung von Quartieren aufgestellt werden. Das ist eine eindeutig falsche Verwendung eines Indexes, von dem sich nicht einmal exakt sagen lässt, was er tatsächlich misst. Das bedeutet allerdings nicht, dass er praktisch alles abbildet; denn mit dieser Unterstellung wird nur von einer prinzipiell eindimensionalen Orientierung der Stadtpolitik abgelenkt.



Informationen für eine sozialräumliche Stadtpolitik


Sozialräume stellen prinzipiell eine wichtige Bezugsgrößen für eine Beurteilung der Situation und damit über den möglicherweise notwendigen Einsatz von Maßnahmen dar. Um diese Funktion erfüllen zu können, ist eine geeignete statistische Größe erforderlich, mit deren Hilfe rationale Entscheidungen getroffen werden können. Das gilt

a) für die Ausweisung von belasteten Teilräumen.

In diesem Fall wird ein Indikator oder Index benötigt, der den Bedarf oder die Notwendigkeit spezifischer Maßnahmen anzeigt. Dabei kann es sich entweder um ein breites, räumlich konzentriertes Angebot vor allem an Bildungs- und Sozialmaßnahmen handeln, oder um ganz spezifische Problemfelder wie die Betreuung alleinerziehender Mütter, Jugendlicher mit Migrationshintergrund oder von Einwohnern in Rentenalter. 

Auf der anderen Seite kann

b) die Ausweisung von belastbaren Teilräumen angezeigt sein.

Allerdings werden nicht immer nur sozial belastetet Quartiere gesucht, um einen erhöhten Förderbedarf zu erkennen. Manchmal wird auch eher das Gegenteil benötigt, also Stadtteile, die belastbar sind, sodass sie beispielsweise Asylanten und andere Migrantengruppen aufnehmen und relativ leicht integrieren können.


Indizes für die Entscheidung über Sozialinterventionen


Vor dem empirischen Hintergrund der klassischen Sozialraumanalyse wurde für diese speziellen Fragestellungen der kommunalen Bildungs-, Gesundheits- und Jugend- und Sozialplanung eine statistisches Instrumentarium entwickelt, dass auf die jeweiligen Aufgaben zugeschnitten sein sollte.

Dabei mussten mit den vorhandenen statistischen Daten so aggregiert werden, dass das neue Instrumentarium zwei Bedingungen gerecht wurde. Einerseits war eine Messgröße zu bestimmen, die genau das misst, was die Entscheidungsträger erfassen wollten. Es muss also eine Übersetzung dieser sprachlichen Vorgaben in Rechenkalküle gelingen, die mit vorhandenen statistischen Daten auskommen.

Andererseits waren die tatsächlichen räumlichen Kombinationen zwischen diesen Merkmalen zu beachten, da sich allein dadurch bei hohen Anhängigkeiten gute Repräsentanten für eine Reihe anderer Merkmale auswählen ließen, sodass sich die spätre statistische Arbeit deutlich erleichtern kann.

Anders als in der klassischen Sozialraumanalyse geht es daher in der Praxis weniger um die akademische Frage, wie sich die Wohnbevölkerung in einer Stadt verteilt, sondern wo sich Bevölkerungsgruppen mit spezifischen Problemlagen konzentrieren, die den Einsatz ganz spezieller Maßnahmen erfordern, also etwa um Angebote der Bildungs- und Erziehungsberatung, Deutschkurse für verschiedene Teilnehmergruppen oder Dienstleistungen der Altenpflege.


Der Bremer Benachteiligungsindex 



Einen ersten Versuch auf diesem Gebiet der statistischen Fundierung sozialer Maßnahmen hat 1991 die Abteilung Soziales der SAFGJS (Senatorin für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales) mit der Konstruktion eines Benachteiligungsindexes unternommen. Dabei erfasst dieser Index nach einer Auskunft, die der Senat der Bürgerschaft auf eine Große Anfrage der SPD am 8.5.2001 gab, „nicht nur Armut und Reichtum“, sondern berücksichtigt „auch Faktoren wie Bildungsbeteiligung, Altersstrukturen, Ausländeranteile u. a.“ Der Benachteiligungsindex scheint also eine Rechengröße zu sein, die man - wenn nicht in allen - so doch in vielen Fällen verwenden kann, also fast ein multifunktionaler Universalindex.


Zur Zeit dieser Auskunft lagen Berechnungen für die Jahre 1991, 1993, 1996, 1999 und 2000 vor, die inzwischen für 2003, 2005, 2007 und 2009 fortgeschrieben wurden. Auf diese Weise steht also inzwischen ein Monitor für die Entwicklung von Sozialräumen über fast zwei Jahrzehnte zur Verfügung, sodass sich zumindest prinzipiell Entwicklungen und damit auch mögliche Effekte politischer Interventionen erkennen lassen.

Um jeweils aktuelle Trends rasch erfassen zu können, wurde auf die Verwendung von Kennziffern geachtet, die jeweils zeitnah erhoben werden. So konnte man zwar 1991 mit Daten aus der Volkszählung von 1987 beginnen. Ab 1999 wurde jedoch die Systematik des Indikatorensystems verändert, da man auf die älter gewordenen Volkszählungsdaten verzichtete. Auch in den folgenden Jahren war eine Reihe von Revisionen erforderlich, vor allem bei den Sozialhilfeindikatoren im Zuge der Agenda-Politik. Insgesamt wurde auch die Zahl der Einzelindikatoren auf aktuell 20 Merkmale reduziert, wobei für zwei Indikatoren zwei Alternativen zur Verfügung stehen.

Insgesamt stellen die Autoren nach diesen Revisionen fest, dass sich dadurch die absolute Größe und Spannbreite der Messzahlen verändert hat, nicht jedoch die generelle Rangfolge der Ortsteile. (Brünner, S. 37)

Für die Berechnung im Jahr 2005 wurde eine genauere Analyse der Zusammenhänge zwischen den Einzelindikatoren veröffentlicht, die einen Blick in das Innere dieses Universalindexes erlaubt. Danach besteht eine deutliche Kumulierung der Merkmale von Benachteiligung und Privilegierung, die damit hohe räumliche Interkorrelationen aufweisen. Das gilt vor allem für die Indikatoren Sozialhilfebezug, Ausländeranteil bei den unter 18-jährigen und Arbeitslosenquote.

Im einzelnen ließen sich dabei für die vier Themenbereiche jeweils hervorstechende Indikatoren finden. Hierzu zählen im Bildungsbereich der Besuch weiterführender Schulen und in der Gruppe „Erwerbs- und Einkommensverhältnisse“ der Sozialhilfebezug.

In der Indikatorengruppe „Identifikation“ sind es besonders die Wahlbeteiligungen, während die Wanderungsmerkmale, und zwar vor allem die Fortzüge, kaum mit den anderen Indikatoren korreliert sind. Die Indikatoren des Bereichs „Entmischung und Konfliktpotential“ weisen sogar kaum Zusammenhänge untereinander noch mit den Merkmalen der anderen Gruppen auf. Die einzige Ausnahme stellt hier der Anteil von Ausländer unter den unter 18-jährigen dar.

Diese Korrelationsstruktur schlägt sich auch in den Merkmalen der Gebiete nieder, die durch hohe bzw. niedrige Indexwerte hervorstechen. So sind die benachteiligten Gebiete durch eine hohe Sozialhilfedichte, niedrige Wahlbeteiligung, hohe Wohngelddichte, hohe Arbeitslosigkeit, einen hoher Anteil ausländischer Jugendlicher, einen niedriger Anteil Sek.II-Schüler und einen hohen Ausländeranteil gekennzeichnet sind, während die privilegierten Gebiete die komplementären Eigenschaften aufweisen. (2007, 12ff.)

Wie bei jeder Aggregation von Einzelindikatoren stellt sich auch hier die Frage, was der Index messen soll und ob er dieses Ziel auch gültig erreicht.

Vom Kontext der Diskussion städtischer Armut und sozialer Problem her soll offensichtlich zwischen Bremer Orteilen unterschieden werden, in denen sich diese sozialen Belastungen kumulieren. Aber auch damit bleibt vieles offen, denn eine sozialräumliche Benachteiligung kann sehr verschiedene Bedeutungen haben. 

So kann es sich beispielsweise um Quartiere handeln, die von ihrer Ausstattung und/oder Lager her benachteiligt sind. Das kann dann zu Wohnungsleerständen und nicht selten zu einem Verfall des ganzen Viertels führen. Für diesen Zustand ist die Situation in einigen heutigen WiN-Gebieten ein gutes Beispiel, als etwa in die Infrastrukturversorgung und die Anbindung an die Bremer City auf sich warten ließen. Das hat sich im Laufe der Zeit verbessert und außerdem wurde die Zahl der Wohnungen reduziert, so etwa in Lüssum, wo Hochhäuser abgerissen und durch ein „Grünes Band“ ersetzt wurden. 
Dieses Ausrichtung ist allerdings beim Bremer Benachteiligungsindex nicht intendiert, weil er aus der Diskussion um die segregierte Armut entwickelt wurde. 

Da eine Definition des Begriffs Benachteiligung eines Quartiers nicht zu finden ist, muss man sich auf das konzentrieren, was tatsächlich gemessen wird. In der letzten Version von 2009 sind das vier Bereiche mit insgesamt 20 bzw. 22 Einzelindikatoren, die alle gleichgewichtet werden. (S. 12)

Die vier Merkmalsgruppen sind, wie die folgende Tabelle im einzelnen aufführt:

- Bildungsbeteiligung mit einem Indikator,

- Erwerbs- und Einkommensverhältnisse mit vier Indikatoren,

- Identifikation mit fünf Indikatoren und

- Entmischung und Konfliktpotenzial mit zehn Einzelindikatoren. (S. 5)



Indikatoren des Bremer Benachteiligungsindexes und ihre maximalen Werte

Bereich (Zahl der Indikatoren)
Indikator
Höchster
Wert
Niedrigster
Wert

Bildung (1)

Schulabgänger mit Abschluss

100 %

74,5 %
Erwerbs- und Ein- kommensverhältnisse (4)
Arbeitslosenziffer
32,4 %
4,3 %

Arbeitslosenziffer bei Ausländern
48,5 %
6,5 %

SGB II-Bezieher pro 1.000 Einwohner
318,7
17,3

SGB II-Bezieher bei Ausländern
373,3
31,5
Identifikation (5)
Wahlbeteiligung bei Bürgerschaftswahl
75,9 %
40,7 %

Wahlbeteiligung bei Bundestagswahl
87,6 %
52,7 %

Fortzüge pro 1000 Einwohner
129,4
22,9

Zuzüge pro 1000 Einwohner
124,8
30,2

Anteil mit Migrationshintergrund
63,5 %
8,45 %
Entmischung und Konfliktpotenzial (10)
Falldichte pro 18 – 25jährige
6,3 %
0,0 %

Falldichte bei 26-60jährigen
2,94 %
0,0 %

Falldichte bei über 60jährigen
5,94 %
0,0 %

Falldichte in der Jugendgerichtshilfe
294,9
15,9

Anteil alleinerziehender Haushalte
9,2 %
1,5 %

Zahl der unter 1-jährigen pro 100 Frauen zwischen 15 und 45 Jahre
3,8
0,9

Ausländeranteil unter 18-jähriger
45,7 %
1,9 %

65 und mehr pro 100 Einwohner über 15
340,4
83,8

Männer pro 100 Frauen (65 und mehr)
93,1
50,2

Anteil der Ausländer an den unter 18-jährigen
29,9
2,7


Diese 20 Indikatoren werden zunächst standardisiert und dann zu dem Index addiert, wobei alle Einzelmerkmale gleichgewichtet sind, also keine Gleichrangigkeit der vier großen Bereiche „Bildung“, „Identifikation“, „Erwerbs- und Einkommensverhältnisse“ und „Entmischung und Konfliktpotenzial“ erfolgt.

Implausibilitäten des Benachteiligungsindex


Auch wenn die Autoren gern auf eine relativ große Stabilität bei den besonders benachteiligten Bremer Ortsteilen verweisen, wo Gröpelingen und Tenever um den ersten Rang oder - sollte man besser sagen – den Schwarzen Peter in einem negativen Wettstreit liegen.

Das ist jedoch nicht die ganze Wahrheit über die Konsistenz der Ergebnisse; denn beim näheren Hinsehen lassen sich auch deutliche Veränderungen von Rangplätzen erkennen, die innerhalb von zwei Jahren kaum mit gravierenden Veränderungen der sozialen Realität verbunden sein können. So gab es zwischen 2007 und 2009 für einige Ortsteile kräftige Sprünge von 10 und mehr Rangplätzen. Zu nennen sind hier:


Sprünge von 10 und mehr Rängen zwischen 2007 und 2009

Ortsteil
Rangplatz-veränderung
Rang 2009
Sozialhilfe
2004
Hartz IV
2011
Verschlechterung




Seehausen
-23
55
75
76
Kirchuchting
-13
9
16
10
Oslebshausen
-11
8
18
19
Verbesserung




Fesenfeld
14
69
58
62
Rablinghausen
12
53
47
48
Bahnhofsvorstadt
11
17
21
22
Neue Vahr Südwest
11
18
15
14
Quelle: Derzak, Anlage 2

In sieben Jahren und einer gesetzlichen Umstellung im Rahmen der Agenda-Politik änderten sich die Rangplätze bei dem Anteil der Bezieher von Transferleistungen trotz der Sprünge beim Benachteiligungsindex nur geringfügig, wenn man einmal von Kirchhuchting absieht. Der Universalindex der Sozialbehörde wird daher offensichtlich durch beinahe zufällige Indikatorenwerte  erheblich beeinflusst. Das können beispielsweise die Fallzahlen sein, die sehr kleine Werte besitzen und sich daher zufällig relativ stark ändern können.


Der tatsächliche Messbereich des Benachteiligungsindex


Die große Frage ist hier: Was misst dieser Indikator tatsächlich? Da die Gleichgewichtung nicht nach den Bereichen, sondern nach den Einzelindikatoren erfolgt, hat das Bündel,  „Entmischung und Konfliktpotenzial“ einen ganz erheblichen Einfluss auf die Höhe des Index. Sein Anteil macht 50 % aus beruht fast ausschließlich auf der tatsächlichen Nachfrage und dem Bedarf an sozialen Interventionsleistungen. Dabei korrelieren diese Merkmale, wie die Auswertung für 2005 zeigt, kaum mit den anderen Indikatoren. Offensichtlich besteht also kein Zusammenhang zwischen diesen Falldichten unter dem Anteil der Bezieher von Transferleitungen oder dem Ausländeranteil. Es ist also nicht unmittelbar zu 
erkennen, welche Aspekte einer Benachteiligung sich hierin niederschlagen.

Der Bildungsbereich, den man für einen besonders wichtigen Hebel zum Abbau von Armut ansieht, spielt hingegen mit nur 5% Anteil praktisch kaum eine Rolle. Bei den Falldichten müssen zudem die niedrigen absoluten Werte gesehen werden, die, wie die Tabelle ausweist, teilweise sogar bei 0 liegen, sodass diese Werte kaum repräsentativ für einen Ortsteil sein dürften, in dem einige tausend Einwohner leben.

Analog zur Sozialraumanalyse könnte man also bei diesem Benachteilungsindex von einem Armuts- oder deprivierten Status bzw. einem Sozialinterventionsindex sprechen, wobei es jedoch schwer fällt, den genauen Messbereich zu definieren. Außerdem bleibt unklar, ob die Auswahl der Einzelindikatoren überhaupt für diesen Zweck geeignet ist und nicht einige Indikatoren nur relativ zufallsverteilter Ballast sind.


Berliner Sozialstrukturindizes


Einen abweichenden Weg bei annähernd gleichem Ziel ist man in Berlin gegangen, wo eine besonders enge personelle Verknüpfung mit der Gesundheitsstatistik bestanden hat, was nicht ohne Folgen geblieben ist.

So ging man ähnlich wie bei der Sozialraumanalyse vor und versuchte Ähnlichkeiten zwischen den Teilräumen mit Hilfe der Faktorenanalyse im empirischen Datenmaterial aufzuspüren. Dabei wurden allerdings nicht nur sozialstatistische Kennziffern verwendet, die üblicherweise in Volkszählungen erhoben werden und auch die Grundlage der klassischen Sozialraumanalyse bilden, sondern zog zusätzlich Daten aus der Sozialhilfe- und Gesundheitsstatistik heran.

Das führte zwangsläufig zu einer abweichenden Faktorenstruktur, zumal bereits einige Merkmale von ihrer Definition her von einander abhängig sind, so etwa die unterschiedlich definierten Arbeitslosenquoten und alterspezfische SGB-Quoten als Teilmenger einer Gesamt-SGB-Quote.

Nach diesen empirischen Merkmalsbündelungen für die betrachteten Raumelemente ergaben sich drei relevante Faktoren, die recht allgemein mit Sozialindex I, Sozialindex II und Statusindex bezeichnet wurden.
Der Sozialindex I wird entsprechend seinen Ladungen, die in der folgenden Tabelle aufgeführt sind, durch einen ALG II-Bezug geprägt, der durch Daten zur Berufsbildung, der Armuts- und Einkommenslage, die Anteile von Kindern unter 6 Jahren, eine einfache Wohnlage, das Wanderungsvolumen sowie Indikatoren des Gesundheitszustandes (Sterblichkeit, Lebenserwartung) ergänzt wird. Er entspricht damit in etwa dem Bremer Benachteiligungsindex.

Eine derartige schon recht komplexe Beschreibung ist für den Sozialindex II erheblich schwieriger, der stark durch Indikatoren des Arbeitsmarktes (z. B. sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und Selbstständige), der Arbeitslosigkeit nach SGB III, d.h. finanziert durch in eigener Erwerbstätigkeit erworbene Ansprüchen, sowie den Wanderungssaldo mit dem engeren Verflechtungsraum beeinflusst wird.

Auch der Statusindex lässt sich kaum begrifflich fassen; denn er ist weitgehend eine Kombination von Bildungsmerkmalen und Kennziffern der Haushaltsgröße. Ganz grob könnte man daher von einer Kombination des sozialen und des familialen Status in der klassischen Sozialraumanalyse sprechen, worin sich die durch die vorgegebenen Indikatoren wenig theoriegeleitete Vorgehensweise ausdrückt.

So besagt ein hoher Statusindex für die Autoren, „dass diese Bezirke eine besonders gute Bildungs- und Ausbildungsstruktur, geringe Haushaltsgrößen, geringe Anteile an Kindern und Jugendlichen und hohe Anteile von Angestellten und Selbstständigen an den Erwerbstätigen haben.“ (Sozial_kreuzberg) 1995 – 2003


Dabei bleibt offen, warum wenige Kinder und Jugendliche sowie kleine Haushalte für einen hohen sozialen Status stehen, man sich also fragen muss, ob das ein Ergebnis der modernen Singlegesellschaft oder nur eine Artefakt der vorgegeben Kennziffern ist.

Ganz unabhängig von diesen methodischen Fragen haben die Indizes durchaus ihre politische Bedeutung, wenn sie in der Diskussion eingesetzt werden, um auf eine erfolgreiche Politik hinzuweisen oder ein Mehr an Finanzmitteln einzufordern.

So heißt es etwa ohne Ansehen der Numerik dieser Indizes: „Auch in Gesamt-Berlin hat sich die Sozialstruktur in den letzten sieben Jahren verschlechtert - und zwar um rund 4 Prozentpunkte. Neukölln hat sich um 6,47 Prozentpunkte verschlechtert.“ (Sozial_kreuzberg) 1995 – 2003)

Wegen der unübersichtlichen Bedeutng der Faktoren bleibt es daher faktisch offen, welches Gewicht eine Aussage im Sozialstrukturatlas überhaot besitzt, wenn es heißt: „In Neukölln, wie auch in Kreuzberg, Wedding und Tiergarten treffen niedriger Sozialindex und niedriger Statusindex zusammen. Das heißt, hier treffen hohe Arbeitslosenquoten, niedrige Einkommen, schlechter Gesundheitszustand usw. mit hohen Kinder- und Jugendanteilen, großen Haushalten und hohen Arbeiteranteilen unter den Erwerbstätigen zusammen. (Sozialstrukturatlas 2003, S. 32) 

Berliner Sozial- und Statusindizes (jeweils 5 hohe Ladungen)


Merkmal
Sozialindex I
Sozialindex II
Statusindex
Bevölkerungs- und Haushaltsstruktur



Anteil der 16- unter 18-jährigen


0,818
Wanderungssaldo


-0,823
Haushaltsgröße


0,799
Einpersonenhaushalte unter 65 Jahre


-0,760
Ausländeranteil (ohne EU-Bürger)

0,715

Bildung




Personen mit Volks-/Hauptschulabschluss


0,920

Erwerbsleben




Arbeitslosenquote nach SGB II

0,941


Arbeitslosenquote

0,919


Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte

-0,885

Selbständige und Familienangehörige

0,791

Einkommensquelle




SGB II-Empfänger (unter 15 Jahre)

0,980


Erwerbsfähige SGB II-Empfänger (15-65)

0,971


AGL I-Empfänger

-0,908

Sozialhilfeempfänger

0,749

Gesundheitszustand (10)




Vorzeitige Sterblichkeit
0,946


Quelle: Biostatistik, S. 14 ff.


Berliner Sozialhilfetypencluster (Benachteiligung, S. 95)


Auch wenn die Indizes der Berliner Sozialstatistik nur ein Augenblicksbild bei einer bestimmten Dateneingabe darstellen, ihnen also ein Allokationsmodell des Immobilienmarktes und der Wohnpräferenzen fehlt, kann dieser Ansatz zur differenzierten Beschreibung der Quartiere herangezogen werden, die für segregierte Armut stehen.

Das wurde ebenfalls in Berlin mit einem anderen Datensatz (Schmidtke , S. 50f.) deutlich, wobei die räumliche Auswertung eine recht differenzierte Verteilung verschiedener Gruppen von Hartz IV-Beziehern ergab.(S. 73 ff.) Danach lassen sich 

a) Gebiete mit Überpräsenz von ausländischen Großfamilien und Langzeitbeziehenden

b) Gebiete mit Überpräsenz von älteren, kranken und pflegebedürftigen Hilfebeziehenden

c) Gebiete mit Überpräsenz von alleinerziehenden und arbeitslosen Hilfebeziehenden sowie

d) Gebiete mit Überpräsenz an hochgebildeten Hilfebeziehenden ausweisen.



Der Frankfurter Benachteiligungsindex

Frankfurt ist mit seinem Index, der dort wie in Bremen Benachteiligungsindex genannt hat, wieder einen anderen Weg gegangen. Hier wurde bei der Erstellung dieses Monitorings die Verteilung verschiedener Bevölkerungsgruppen erfasst, um Segregationstendenzen beobachten zu können.

Zusätzlich wird für jeden Stadtbezirk der Grad der sozialen Benachteiligung berechnet. Dieser Benachteiligungsindex „stellt zum einen den Grad der Konzentration von Benachteiligungen dar und zeigt zum anderen die Position zu den anderen Stadtbezirken. Hierdurch wird es auch zukünftig möglich sein, den Grad der sozialen Benachteiligung zu messen.“

Gleichzeitig verwendet man in Frankfurt diesen Index für die Analyse räumlicher Zusammenhänge, und zwar der zwischen sozialer Benachteiligung, Migrationsquote, Anteil der Alleinerziehenden-Haushalte, Übergewicht bei Kindern und Wahlbeteiligung.

Bei der Indexkonstruktion verwendet man in Frankfurt ganz wie in Bremen eine einfache Addition der Einzelmerkmale, allerdings bezogen auf die Rangplätze der Stadtbezirke und vor allem mit erheblich weniger Indikatoren, die man mithilfe von ökologischen Korrelationen ausgewählt hat. Daher ist dieser Index sehr überschaubar, da nur die Merkmale

- Arbeitslosenquote,

- der Anteil der Empfänger von existenzsichernden Mindestleistungen und

- die Wohnfläche je wohnberechtigten Einwohner gering ist.


Der Bremer Index für vermutete soziale Problemlagen


Einen ähnliches Berechnungsverfahren hat 2008 die ressortübergreifende AG Stadtmonitoring in Bremen für einen Index verwendet, mit dessen Hilfe sogenannte „Vermutungsgebiete sozialer Problemlagen“ ausgewiesen werden sollen. Dabei geht es um eine Entscheidungsinstrument für die Aufnahme bzw. den Verbleib im Städtebauförderungsprogramm WiN (Wohnen in Nachbarschaften).

Diesen gut überschaubare Index berechnet man aus den drei Leitindikatoren „Einkommensarmut“, „Migrationshintergrund“ und „Sprachstand“, deren Werte dabei im Prinzip addiert werden.

Die Autoren argumentieren dabei, dass der Ausschluss aus dem Beschäftigungssystem bzw. die Nichtintegration in aller Regel zu Einkommensarmut mit weitreichenden Auswirkungen auf den familiären Lebensstil, die sozialen Netze, den Habitus und individuelle Lebensperspektiven auch der von Kinder führt. Für den Leitindikator „Einkommensarmut“ ist daher die Anzahl der Personen im SGB II-Bezug ausschlaggebend. Hierzu zählen 

- ALG II - Bezieher(innen) (15 bis unter 65-jährige erwerbsfähige Hilfebedürftige)

- Bezieher(innen) von Sozialgeld (hilfebedürftige nichterwerbsfähige Personen, die mit einem erwerbsfähigen ALG II - Bezieher(innen) in einer Bedarfsgemeinschaft leben; z.B. Kinder und ältere Personen) sowie

- Bezieher(innen) von Sozialgeld für anerkannte Mehrbedarfe zum ALG II wie z.B. werdende Mütter.

Der Migrationshintergrund beinhaltet nach den Worten der Autoren für sich betrachtet zwar keinen zwingenden Hinweis auf zu vermutende soziale Problemlagen. Aber dort, wo der Anteil von Migrant(innen) sehr hoch und mit hoher Arbeitslosigkeit und geringerer Bildungsintegration verbunden ist, kann in aller Regel auch von einer Konzentration sozialer Probleme ausgegangen werden.

Konkret werden zu den Personen mit Migrationshintergrund werden Ausländer(innen), eingebürgerte Deutsche und Aussiedler(innen)
zusammengefasst. Ergänzend übernehmen deutsche Kinder unter 18 Jahren, für die kein eigener Migrationshintergrund erkennbar ist, aber mindestens ein Elternteil einen Migrationshintergrund hat, die entsprechende Zuordnung des Elternteils. Heimatvertriebene und Flüchtlinge des 2. Weltkriegs erhalten hingegen keine Zuwanderungseigenschaft und werden den Einwohnern ohne Migrationshintergrund zugeordnet.

Da die Beherrschung der deutschen Sprache als Verkehrssprache eine grundlegende Kompetenz zur Integration in die Gesellschaft ist, dienen die Sprachstandsbeurteilungen von Schülerinnen und Schülern aller Schularten und –stufen als weiterer Indikator. Die besondere Belastung wird dabei darin gesehen, dass Schüler(innen) am Unterricht aufgrund fehlender sprachlicher Kompetenzen nicht teilhaben oder nur gestützt durch Sprachförderung teilhaben können.

Mithilfe dieses Index für vermutete soziale Problemlagen werden Baublöcke bewertet, wie die folgende Tabelle zeigt. Diese Auswertung dient in Bremen als Grundlage für die Ausweisung der sozialpolitisch besonders geförderten von WiN-Gebiete.

Bremer Baublöcke nach dem Index für vermutete soziale Problemlagen

Rang
Vermutungsgebiet
Ortsteil
Index
Einwohner
1
Grönlandstr.
Burg-Gramke
415,1
502
2
Grohner Dühne
Grohne
415,0
1572
3
Wilhelm-Kaisen-Brücke / Osterstr.
Alte Neustadt
369,4
170
4
Peenemünder Str.
Lesum
360,2
99
5
Hinter den Ellern
Hemelingen
358,8
834
6
Düsseldorfer Str.
Blockdiek
336,6
902
7
George-Albrecht-Str
Blumenthal
324,2
452
8
Kamphofer Damm
Woltmershausen
323,8
435
9
Duisburger Str.
Neuenland
323,3
210
10
Wuppertaler Str.
Osterholz
322,5
945

Münchener Indikator „Soziale Herausforderungen“

Auch wenn es noch viele weitere deutsche Großstädte gibt, die einen eigenen statistischen Index für das sozialräumliche Armutsproblem entwickelt haben, soll nur noch München als weiteres Beispiel herangezogen werden, weil man hier mit einem Indikator „Soziale Herausforderungen“ vermutlich eine moderne und politisch korrekte Bezeichnung gefunden hat.

In diesen Indikator fließen „vor allem diejenigen Variablen ein, die eine Intervention durch das Sozialreferat (d.h. BSA-Intervention, Erziehungshilfen, Arbeitslosigkeit und Bezug von Transferleistungen) beschreiben, aber auch der Anteil ausländischer Bevölkerung und Haushalte“ ein.

Ergänzend benutzen die Münchener den Indikator Familie und Wohnen, der einerseits die verschiedenen Familienformen sowie die jugendliche Bevölkerung abbildet und andererseits auch den Anteil der Sozialwohnungen in der jeweiligen Planungsregion.

In den weiteren Indikator Senioren fließen der Anteil der alleinlebenden 80-jährigen und Älteren sowie der Altenquotient ein.

Schließlich werden noch in einem vierten Indikator werden die Zu- und Wegzüge zusammengefasst.

Die Faktorenanalyse ergibt in allen bisher betrachteten Jahren (2004 bis 2007) die gleichen Faktoren, obwohl aufgrund zahlreicher gesetzlicher Änderungen in den letzten Jahren grundlegende Veränderungen in der Datenerfassung nötig waren. Dies spricht nach dem Urteil der Autoren für die Stimmigkeit der ausgewählten Variablen und der verwendeten Methode.

Sozialindizes für Schulen


Neben der Sozialverwaltung interessieren sich vor allem die Schulbehörden für Sozial- bzw. Belastungsindizes. Hintergrund sind die unterschiedliche Wahl von Schultypen und der Schulerfolg in verschiedenen Sozialräumen, sodass durch einen erhöhten Personal- und Materialeinsatz in benachteiligten Quartieren bestehende Benachteiligungen kompensiert werden sollen. Es soll so vor allem eine bedarfsgerechte Stellenzuweisung erfolgen.

Dabei werden auf der Ebene der Schulbezirke in NRW die vier soziodemografischen Merkmale Arbeitslosenquote, Sozialhilfequote, Migrantenquote herangezogen und der Anteil der Einfamilienhäuser herangezogen, die gleichgewichtet in den Index eingehen.Dieser Sozialindex ist daher „…ein Index (…), der die soziale Situation der Schulen widerspiegelt und damit eine Einschätzung über die soziale Belastung einer Schule erlaubt.“

Einen ähnlichen Weg ist man in Hamburg gegangen, wie die Übersicht der Indikatoren zeigt. Ziel ist auch dort, eine Bildungsbenachteiligung durch eine ungleiche Ausstattung von Schulen mit Personal und Finanzmitteln zu kompensieren. So soll eine zielgenauere Ressourcenausstattung erreicht werden, die eine Verteilung nach dem „Gießkannenprinzip“ ablöst. Gleichzeitig will man so einen positiven Beitrag zu einer höheren Bildungsgerechtigkeit leisten. Dabei gehen neben den sozialräumlichen auch zusätzliche Merkmale über die Situation der konkreten Schüler in die Berechnung ein.

Indikatoren der Sozialindexe in Hamburg und NRW


Region
Statistische Indikatoren
NRW
Arbeitslosenquote,
Sozialhilfequote,
Migrantenquote (zugewanderte Schüler incl. Aussiedler),
Anteil der Wohnungen in Einfamilienhäusern
Hamburg
durchschnittliche Wohnungsgröße
Wohnfläche je Einwohner
Anteil Sozialbauwohnungen (-)
Wahlbeteiligung
Anteil Arbeitslose (-)
Anteil Sozialhilfeempfänger (-)

Die Bedeutung dieser konkret schulbezogenen Merkmale wird deutlich, wenn man den Zusammenhang zwischen der Leseleistung auf Schulebene und den Teilkomponenten des umfassenden Sozialindexes betrachtet. Hier ist der Zusammenhang mit der sozialen Belastung des Stadtteils deutlich geringer als etwa die von der ökonomischen Ausstattung der Schülerfamilie, d.h. ein Merkmal, das vor allem die Einkommensverhältnisse der Eltern misst.

Korrelationen der Leseleistung auf Schulebene und den Variablen des Sozialindexes


Variablen
Korrelationskoeffizient
Soziale Belastung der Schule im Stadtteil
0,63
Ökonomisches Kapital der Schülerfamilie
0,82
Kulturelles Kapital der Schülerfamilie 1
0,80
Kulturelles Kapital der Schülerfamilie 2
0,66
Migrationshintergrund
0,72
Schulbezogenes soziales Kapital im Elternhaus 1
0,61
Schulbezogenes soziales Kapital im Elternhaus 2
0,57
Gesamtindex
0,82
Belastungsindex, S.


Ausgewählte Indikatoren oder komplexe Indizes?


Nach dieser Bestandaufnahme der praktischen Anwendung von Sozialräumen und Indikatoren, die sozialräumliche Problemlagen erfassen, lassen sich einige verallgemeinernde Schlussfolgerungen ziehen.

Bei der empirischen Arbeit lassen sich, wie die Beispiele vor allem aus Bremen, Berlin und Frankfurt zeigen, unterschiedliche Methoden wählen. So kann man geeignete Einzelindikatoren auswählen oder einen Index wählen, der breitere Fragestellungen abdeckt oder auch nur Messfehler und andere Ungenauigkeiten eines Einzelindikators ausgleicht.

Besonders ambitioniert sind die Versuche in Bremen und Berlin, wo Indizes fast alles messen sollen, was interessieren könnte. So besteht de Bremer Benachteilungsindex eine Auswahl von statistischen Kennziffern zur sozialen Lage von Einwohnern, die sich relativ eindeutig bewerten lässt. Es handelt sich also um ein Konvolut von Indikatoren mit klaren Bewertungen, wie es in der Psychologie etwa durch das Semantische Differential bekannt ist.

Zwar mag es ganz interessant sein, wenn man erfährt, in welchem Ortsteile sich die positiv bzw. negativ bewerteten Merkmale kumulieren. Nur besteht bei diesem Indikator das große Problem, das die Gewichtung ganz willkürlich vorgenommen wird, wie bereits angemerkt wurde. Auch ist es fraglich, ob verschiedene Benutzer des Begriffs „Benachteiligung“ damit tatsächlich das verstehen, was mit den 20 Indikatoren in Bremen gemessen wird. Die Tatsache, dass andere Städte deutlich abweichende Indikatoren ausgewählt haben, spricht jedenfalls eher dagegen. Hier zeigt sich vielmehr im Vergleich, dass eher ein Konsens in Richtung von relativ wenigen, gut überschaubaren Indikatoren geht, deren aktuelle Werte jährlich veröffentlicht werden, also vor allem dem Anteil der Hartz IV-bezieht, Arbeitslosen und Ausländer.

Zudem hat eine relativ undifferenzierte Zuordnung von positiven oder negativen Eigenschaften kaum einen Bezug zu zielbezogenen konkreten Maßnahmen, da sich kaum effektive Allround-Programme entwickeln lassen, die generell schlechte in gute Zustände verwandeln können, also fast märchenhafte Wirkungen haben. Dafür kämen bestenfalls Finanzzuweisungen in Frage, nur würde sich dann im nächsten Zug eine Entscheidung über deren konkrete Verwendung anstehen. Ein Universalindex dieser Art ist daher für eine zielgerichtete Politik nur wenig geeignet.

So verständlich es ist, dass sich im politischen Geschäft solche Überblicke, von denen sich nicht präzise sagen lässt, was sie eigentlich bedeuten, teilweise gut verwenden lassen, wenn man damit zusätzliche Mittel für seinen Ortsteile einfordern oder auf angeblich Erfolge der eigenen Politik hinweisen kann.

Nur müssen in diesem Fall die Indikatoren so ausgewählt bzw. zu einem Index aggregiert werden, dass das jeweilige Ergebnis auf die mehr oder weniger breite Fragestellung zugeschnitten ist.



Vergleichbarkeit als Bewertungsnotwendigkeit


Da isolierte Kennziffern wenig aussagen, muss immer auf geeignete Vergleiche geachtet werden, durch die erst eine Einordnung der Zahlen und damit der Zustände, die sie repräsentieren, möglich wird. Zwar steht in der Regel ein Vergleich der jeweiligen Quartiere eine Stadt, in Bremen also der Ortsteile und teilweise auch der Baublöcke im Vordergrund des Interesses, daneben können jedoch auch zeitliche Vergleich von Interesse sein. Das gilt vor allem für die Tendenz zur Segregation, wo Zeitreihen sogar eine gute Evaluation von stadtpolitischen Maßnahmen liefern können.

Aber auch Vergleich mit anderen Städten verdienen Aufmerksamkeit, da sich dadurch erst „normale“ und außergewöhnliche sozialräumliche Strukturen erkennen lassen.

Da sich die Städtestatistiker zumindest bisher nicht auf einen allgemein anerkannten Index der hier thematisierten sozialen Problemlagen oder Benachteiligung einigen konnten, lassen sich diese Aufgaben vermutlich nur durch relevante Einzelindikatoren, wie vor allem den Anteil der Hartz IV-Bezieher, bearbeiten, die damit eine deutliche Aufwertung gegenüber einem komplexen Index erfahren.


Interpretierbarkeit und Validität


Sprechen so rein praktische Gesichtspunkte für ausgewählte Einzelindikatoren, gilt diese Präferenz noch stärker, wenn die vorgeschlagenen Indexe so komplex sind, dass sich nur mit großer Mühe feststellen lässt, was sie eigentlich messen. Das gilt etwa für den Bremer Benachteiligungsindex und die Berliner Sozial- und Statusindexe.

Wie in der Evaluationsstudie zu den Bremer WiN-Gebieten, deren Auswahl teilweise mit den Werten des Benachteiligungsindex begründet wird, festgestellt wird, müssen Indikatoren „einfach und nachvollziehbar“ sein (Evaluation, S. 83).

Ein Index, von dem sich gar nicht sagen lässt, was er tatsächlich misst bzw. von dem man nicht mit Bestimmtheit weiß, dass er gerade das misst, was er messen soll, ist daher keine gute Grundlage für eine rationale Politik. Zu groß ist hier die Gefahr von Manipulationen, wenn etwa den Bürgern und Abgeordneten Zahlen präsentiert werden, die wahre Wunderdinge aussagen sollen, ohne dass es dafür einen schlüssigen Beweis gibt.

Ein Beispiel für diesen Gefahren liefert eine Überdehnung der Ergebnisse einer Faktorenanalyse. Durch dieses statistische Verfahren lassen sich Zusammenhänge zwischen einzelnen Indikatoren erkennen und durch rechnerische Konstrukte, die sogenannten Faktoren, darstellen. Diese Faktoren werden dann durch die Wissenschaftler mehr oder weniger zutreffend benannt. Das sieht nach einem objektiven Verfahren aus, da anscheinend niemand eine Gewichtung wie beim Bremer Benachteiligungsindex vornehmen muss, wo die Autoren im Laufe der Zeit revidierte Indikatoren ausgewählt und jeweils mit 1 gewichtet haben, ganz gleich ob es sich um das Merkmal „Anteil der Hartz IV-Empfänger“ oder die Falldichte der 26 – 60-jährigen im Bereich der Sozialen Dienste handelt.

Hier muss zwar kein Wissenschaftler direkt eine Gewichtung der Einzelindikatoren vornehmen, was jedoch nicht heißt, dass er auf das Ergebnis keinen Einfluss nimmt. Mitentscheidend ist vor allem die Auswahl der Indikatoren, da Merkmalsgruppen, die unter einander hoch korrelieren, in der Regel einen Faktor bilden. Auf diese Weise ist dieses Verfahren über die Wahl der Indikatoren und die begriffliche Identifikation der Faktoren daher nicht weniger subjektiv als die offene Gewichtung durch den Wissenschaftler. Es sieht nur für Außenstehende zunächst deutlich objektiver aus, da sich diese statistischen Hintergründe nicht gleich erschließen.

Bei diesen deutlichen methodischen Schwächen ist es kaum vertretbar, wenn man diese Universalindexe ermittelt und als Entscheidungsgrundlage verwendet. Dadurch sind sie eindeutig überfordert. Ihre Intransparenz behindert zudem eine nachvollziehbare Diskussion der Auswirkungen der einzelnen Vorgaben auf das Ergebnis.


Sozialräumliche Einordnung


Wie die weltweit verlässlichen Ergebnisse von klassischen Sozialraumanalysen belegen, lassen sich die städtische Quartiere nicht ausschließlich durch einen Sozial- oder Benachteiligungsindex adäquat erfassen. Die Bezieher von Transferzahlungen nach dem Sozialgesetzbuch II machen schließlich auch in Bremen maximal gut 30% der Bevölkerung eines Ortsteils aus. Das ist sicherlich unter sozialpolitischen Gesichtspunkten sehr viel, aber dennoch kein vollständiges Bild dieses Ortsteils. Und auch diese Hartz IV-Bezieher unterscheiden sich zumindest nach ihrem familialen Status, da große Migrantenfamilien und Alleinerziehende, aber auch ältere Hilfebedürftige in dieser Armutsgruppe überrepräsentiert sein können.



Sachbezogene Indikatorenwahl


Wenn sich auch durch ausgewählte Indikatoren oder überschaubare Aggregate in Form eines Index so ein guter erster Überblick gewinnen lässt, sind diese Informationen für die Beantwortung von Detailfragen und damit einen effizienten und gerechten Mitteleinsatz bei Einzelproblemen zu oberflächlich. Es macht daher wenig Sinn, die Benachteiligungs- oder Sozialindizes weiter methodisch zu verfeinern. Wichtiger ist die Bestimmung von Indikatoren, die einen zielgenauen Bezug zu den konkreten Maßnahmen haben, also etwa zur Gesundheitsvorsorge, Nachhilfe, Sprachkursen usw. 


Daher gilt eine Aufforderung, die man Ende eines Berliner Berichtes über Sozialstruktur und Kindergesundheit findet: „Auf Daten müssen Taten folgen“ (Bettge, S. 169). Allerdings sollte diese Zielsetzung bereits bei der Auswahl und Aufbereitung der Daten die entscheidende Rolle spielen.


Quellen:
Bettge, Susanne, Oberwöhrmann, Sylke, Hermann, Sabine und Meinlschmidt, Gerhard, Sozialstruktur und Kindergesundheit. Ein Atlas für Berlin auf Basis der Einschulungsuntersuchungen 2007/2008, Berlin 2011.
Brünner, Marion, Sozialindikatoren, Stadtmonitoring, Lebenslagenbericht – Vernetzte Berichterstattung. Vernetzte Maßnahmenplanung?, Folien zum Vortrag am 27.8.2010.
Denker, Wolfgang, Sozialindikatoren 2005, Bremen 2006.
Derzak, Rolf, Sozialindikatoren 2009. Aktualisierung der Sozialindikatoren, Bremen März 2010.
Farwick, Andreas, Segregierte Armut und soziale Benachteiligung. Zum Einfluss von Wohnquartieren auf die Dauer von Armutslagen, in: Informationen zur Raumentwicklung, 2003, S. 175-185.
Ders., Die räumliche Polarisierung von Armut in der Stadt Ursachen, Ausprägungen und soziale Folgen, in: Arbeitnehmerkammer Bremen (Hg.), Armutsbericht 2007, Bremen 2007.
Ders., Amonn, Jan, Groos, Thomas, Messer, Astrid, Larsen, Inger, Teicke, Michael und Winkels, Clara, Sozialraumanalyse Emscherregion, Bochum 2012.
Frein, Thomas, Möller, Gerd, Petermann, Andreas und Wilpricht, Michael, Bedarfsgerechte Stellenzuweisung – das neue Instrument Sozialindex, in: SchulVerwaltung NRW, 2006, S. 188-189.
Häßler, Kathleen, Hermann, Sabine, Adloff, Inis, Grahlen, Rainer und Lenz, Simone, Mundgesundheit der Berliner Kinder - Ergebnisse des Schuljahres 2009/2010, Spezialbericht Berlin 2011-2.
Krebserkrankungen im Land Bremen 2000 – 2005. Schwerpunktthema: Soziale Ungleichheit in der Krebsinzidenz und –mortalität. 7. Jahresbericht des BKR, Bremen 2009.
Meinlschmidt, Gerhard, Sozialindikative Planung. Sozialraumanalyse und sozialräumliche Ressourcensteuerung, Berlin 2008.
Shevky, Eshref und Williams, Marilyn, The Social Areas of Los Angeles, Los Angeles 1949.
Ders. und Bell, Wendell, Social Area Analysis, Stanford, CA., 1955.
Dies., Sozialraumanalyse, in: Atteslander, Peter und Hamm, Bernd (Hg.), Materialien zur Siedlungssoziologie, Köln 1974, S. 125-139.
Schmidtke, Kerstin, Konzepte und Methoden zur Abbildung von Lebenslagen - Bildung von Lebenslagen-Indices am Beispiel der Berliner Sozialhilfestatistik, Berlin 2005.
Senatsverwaltung für Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz (Hg.), Neueste Lebenserwartungsberechnungen für die Berliner Bezirke. Deutliche Zusammenhänge zwischen Lebenserwartung, vermeidbaren Sterbefällen und sozialer Lage, in: Statistische Kurzinformation, Berlin 2002.

Statistisches Landesamt Bremen (Hg), Trends und Entwicklungslinien der Wahlen vom 13. Mai 2007 - Zusammenfassung der wichtigsten Ergebnisse, in: Statistische Mitteilungen, Heft 110, 2007, S. 9- 20.
Tempel, Günter, Die Auswirkungen sozialer Polarisierung. Zur Entwicklung der Lebenserwartung und Sterblichkeit in ausgewählten Bremer Wohngebieten, Bremen 2006.



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Inzwischen gibt es eine Diskussion zu den aktuellen Ergebnissen für den 
Index für Vermutungsgebiete sozialer Problemlagen im Weser-Kurier

Dazu hat auch Skeptulant einen Leserbrief bzw. Kommentar gemailt:


Können Zahlen lügen?

Bekanntlich haben die senatorischen Behörden so ihre Probleme mit der Bildung von Indizes und ihrer korrekten Verwendung und Interpretation, sodass das Bremer Bildungsressort sogar 2010 vom Landesrechnungshof deswegen die Rote Karte gezeigt bekommen hat.

Auch der bisher so beliebte Benachteiligungsindex, den man gern als Maßstab für ein Ranking der Bremer Ortsteile benutzt hat, wird seit 2009 nicht mehr aktualisiert. Die Autoren sind anscheinend von der Qualität nicht mehr besonders überzeugt.

Stattdessen hat ein neuer Index Karriere gemacht, der für das Monitoring Soziale Stadt entwickelt wurde und den die Bau- und Sozialbehörde vor allem für die Ausweisung von WiN-Gebieten heranziehen. Das Hauptcharakteristikum dieses Indexes für Vermutungsgebiete sozialer Problemlagen besteht nicht darin, dass er „sehr plausibel, leicht nachzuvollziehen und .. sich seit dem ersten Monitoring „Soziale Stadt Bremen“ im Jahr 2008 bewährt“ hat, wie die Autoren behaupten, sondern für Baublöcke berechnet wird. Das ist aus zwei Gründen problematisch: Einerseits streut die Größe dieser Einheiten dramatisch, so bei den im aktuellen Monitoring namentlich aufgeführten Blöcken zwischen 7.413 (Ohlenhof) und 81 (Peenemünder Straße). Es kann also nicht erwartet werden, dass man in den großen Baublöcken einheitliche soziale Problemlagen vorfindet, denn wie schon die Redensart sagt, kann es durchaus „Vorne hui und hinten pfui“ sein, wenn man etwa an die klassischen Berliner Mietskasernen mit ihren Hinterhöfen denkt. Einen Vorteil der Baublöcke wegen einer größeren inneren Homogenität gibt es also nicht zwangsläufig.

Andererseits macht eine Indexbildung nur Sinn, wenn sie auf eine konkrete Zielsetzung zugeschnitten ist. Das soll hier im Endeffekt die Ausweisung von WiN-Gebieten sein, die allerdings bisher fast ausschließlich für Ortsteile erfolgt ist. Wenn die Kluft zwischen den Daten für Baublöcke und den später ausgewiesenen WiN-Gebieten daher durch eine subjektive „Komposition“ geschlossen wird, hat das den „Vorteil“ vielfältiger politischer Einflussnahmen, durch die sich Politiker und Beiräte profilieren können.

Wenn jetzt wegen der auf den ersten Blick unverständlichen Zahlen Kritik laut wird, sollten die Indexbastler einmal eine Revision ihrer wenig überzeugenden Arbeit ins Augen fassen; denn kleine Baublöcke sind sicherlich völlig ungeeignet, um deren Daten für längerfristige Planungen zu verwenden. Das gilt vor allem, wenn man einen Indikator wie die Sprachfähigkeit der Kinder heranzieht, der in kleinen Baublöcken möglicherweise von einem einzelnen Kind abhängt, das damit ein Drittel des Indexwertes bestimmt.

Die Zahlen selbst lügen in diesen Fällen nicht, nur wurden sie für falsche räumliche Bezugseinheiten mit ungeeigneten Einzelindikatoren ermittelt. Aber vielleicht klappt es ja in Bremen mit einem weiteren Versuch einer Indexbildung.

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