Montag, 7. Oktober 2013

Wahl 2013: Lokale Konflikte





Die Antwort enttäuschter Wähler oder nur Zufall?

Das Wahlverhalten in Stimmbezirken mit strittigen lokalen Problemen



Die Bedrohung durch das Tanklager Farge, die Aufstellung von Mobilbauten für Flüchtlinge in Fähr-Lobbendorf und Grohn sowie die Bebauung eines Gärtnereigrundstücks in St. Magnus haben im Bremer Norden die Wellen höher schlagen lassen als der Bundestagswahlkampf. Ähnliches gilt für die Dauerprobleme des sozialen Brennpunktes an der George-Albrecht-Str. in Blumenthal, wo die Sozialbehörde nur sehr schleppend Maßnahmen ergreift, von denen die Anwohner der angrenzenden Straßen eine Entlastung erwarten können.

Daher haben sich die Einwohner in Bürgerinitiativen organisiert, Unterschriften gesammelt, Protestdemonstrationen veranstaltet und viel Zeit eingesetzt, um sich gründlich zu informieren und ihre Kenntnisse an ihre Nachbarn weiterzugeben. Diese lokalen Konflikte scheinen damit in diesen Quartieren einen Stellenwert gewonnen zu haben, der zu ganz konkreten Erfahrungen mit den Parteien geführt hat, die auch bei der Bundestagswahl auf dem Stimmzettel gestanden haben und die die bundesdeutsche Politik bestimmen.

Wenn man die weitreichenden Argumente betrachtet, die in diesem Zusammenhang gegen Parteipolitiker in Bremen-Nord und Bremen vorgebracht wurden, kann man vermuten, dass diese Erfahrungen vor Ort nicht ohne Folgen für das Wahlverhalten am 22. September geblieben sind, sich also die Einstellung gegenüber einzelnen Parteien geändert hat, weil sie jetzt in Blumenthal, Burgleseum und Vegesack für einige Wahlberechtigte ein verändertes Image besitzen.
  


Faktoren der Wahlentscheidung



Die Details dieses Wandels dürften daher interessant sein, sich aber nur schwer ermitteln lassen, da die Wahlentscheidung eines jeden Wählers und damit noch mehr die eines ganzen Stimmbezirks oder Ortsteils von einer Vielzahl von Einzeleinflüssen abhängt.

Zu nennen ist vor allem der generelle Trend, wobei sich das aktuelle Ergebnis nicht ohne das der vorhergehenden Bundestagswahl interpretieren lässt. So gab es 2009 als Reaktion auf die Große Koalition eine deutliche Umverteilung innerhalb der Lager rechts und links der Mitte, wodurch vor vier Jahren auf der einen Seite Verlusten der CDU kräftige Gewinne bei der FDP und auf der anderen Seite die Linke und auch die Grünen von Einbußen der SPD profitiert haben. Diese Reaktion hat sich jetzt umgekehrt, sodass von einer vermutlichen Wirkung lokaler Ereignisse praktisch nur gesprochen werden kann, wenn die Zuwächse der jetzigen Gewinner über den Verlusten der anderen Parteien ihres Lagers liegen.

Wie die Analyse der Entwicklung in den unterschiedlichen Sozialräumen gezeigt haben, sind diese Trends nicht gleichförmig in allen Ortsteilen verlaufen, sondern haben sich nach der Sozialstruktur recht unterschiedlich herausgebildet. Die Interpretation der Ergebnisse muss daher auch vor diesem sozialräumlichen Hintergrund erfolgen.

  
Trotz dieser Abhängigkeiten lässt sich ein konkreter Wähler jedoch nicht ausschließlich als ein Produkt von sozialen Merkmalen für ihn und sein Wohngebiet vollständig beschreiben. Wichtig sind auch seine Biografie und sein Freundeskreis, aber auch der reine Zufall, gerade wenn man die Ergebnisse von kleinen Teilräumen betrachtet. Das lässt sich am Beispiel der Briefwahl sehr gut veranschaulichen. Da diese Stimmen nur auf der Ebene der Ortsteile ausgezählt werden, macht es in den hier vor allem betrachteten Ergebnisdaten für Urnenstimmbezirke einen Unterschied, ob ein Wähler dieselbe Partei 2009 an der Urne und 2013 per Brief gewählt hat, obwohl dafür wahrscheinlich Gründe ausschlaggebend waren, die mit der Wahl nichts zu tun haben, in diesem Zusammenhang also als zufällig betrachtete werden müssen.



Das potenzielle Entscheidungsdilemma



Auch wenn die Zeit der treuen Wähler mit einer engen Parteibindung mehr und mehr der Vergangenheit angehört, dürfte auch heute der Wechsel zu einer neuen Parteipräferenz nicht ganz ohne Komplikationen verlaufen, da den Bruch einer alten politischen Einstellung darstellt.

Ein Wähler, der seine Stimme bisher einer Partei gegeben hat, die sich in einer konkreten Frage wie den öffentlich zugänglichen Informationen über das Tanklager Farge anders verhält als er es erwartet hat, steht dann vor einem Dilemma. Er kann entweder diese Enttäuschung verdrängen und seiner alten Parteibindung treu bleiben oder wagemutiger entsprechend seinen konkreten Erfahrungen eine Partei wählen, die seiner Meinung in der konkreten Frage seinen Vorstellungen mehr entspricht.

Diese Entscheidung wird sich vermutlich aufgrund der jeweiligen Betroffenheit unterschiedlich stellen, da im Fall des Tanklagers ein Grundstück mit einem Brunnen, dessen Wasser nach dem Urteil eines Gutachtens nicht mehr benutzt werden darf, eine andere Bedeutung hat als ein Tanklager, dessen Kontaminationen vermutlich die eigene Immobilie gar nicht erreichen werden.

Eine Anekdote, die diese Entscheidungsproblematik veranschaulicht, ist das Dilemma von Buridans Esel, der zwischen zwei exakt gleichen Heuhaufen stand und verhungerte, weil er sich für keinen entscheiden konnte.

Für diesen schwierigen Fall bietet das Wahlgesetz eine besondere Lösung an. Da keine Wahlpflicht besteht, kann man sich der Stimme enthalten und sich dadurch sogar den Weg zum Wahllokal sparen, ohne dass einem derart negative Folgen wie dem Esel drohen.

Gerade bei den angesprochenen lokalen Konflikte ist diese Möglichkeit vermutlich recht beliebt, da eine kritische Stimme in einem lokalen Konflikt praktisch ein Verlassen des in Bremen regierenden rot-grünen Lager bedeuten würde, indem man entweder die CDU oder die teilweise weiterhin diskreditierte Linke wählen müsste.

Möglicherweise kann auch die Wahl einer neuen Partei, die sich den Lagern nicht eindeutig zuordnen lässt, einen weiteren Ausweg aus dem Dilemma darstellen.


Das Tanklager Farge


Vom politischen Gewicht her verdient das Tanklager Farge besondere Aufmerksamkeit, da seine Sicherheit seit Ende 2012 bereits mehrfach in der Bremer Bürgerschaft behandelt wurde. Die Kritik einer Bürgerinitiative und zahlreicher besorgter Bürger richette sich hier zunächst vor allem gegen die fragwürdige Informationspolitik des Bremer Umweltsenators. Inzwischen wird neben der Aufklärung über die tatsächliche Lage auch auf eine rasche Sanierung gedrängt und eine völlige Schließung des Tanklager gefordert.

Die Positionen der Parteien folgen in diesem Fall der typischen Bremer Konfliktlinie, indem die SPD und die Grünen zunächst in der Bürgerschaft die Position der Umweltbehörde unterstützt und die Kritik aus den Medien zurückgewiesen haben. Erst später hat die Blumenthaler SPD den Fortbestand des Tanklagers und einen Erhalt der dortigen Arbeitsplätze als zentrales Ziel aufgegeben. Entsprechendes gilt für die Grünen, die jedoch ebenfalls zunächst keine Möglichkeit sehen konnten, eine Schließung des Tanklagers durchzusetzen.


Die beiden Oppositionsparteien haben hingegen rasch eine kritische Haltung gegenüber der Umweltbehörde eingenommen. Das galt vor allem für die Linke, die unmittelbar in Verbindung mit einer Panorama-Sendung im Fernsehen die politische Debatte in Bremen angestoßen hat und eine Aufklärung über die Gefahren durch das Tanklager verlangte. Eine ähnliche Position hat die CDU eingenommen, die teilweise über alle ideologischen Grenzen hinweg im Blumenthaler Beirat entsprechende Anträge der Linken unterstützt hat.

Anteile der Parteien an den Zweitstimmen in % bzw. %-Punkten am 22.9.2013 in Farge und Rönnebeck


Gebiet
Stimmbezirk 534-01 in Farge

Ortsteil Farge
insgesamt
Ortsteil Rönnebeck insgesamt
Zeit
2013
2009-13
2009-13
2009-13
Wahlbeteiligung
53,8
-3,1
-0,9
-1,4
CDU
30,9
12,5
9,2
5,9
SPD
37,8
2,9
5,1
7,5
Grüne
5,2
-2,9
-2,8
-3,0
FDP
2,1
-8,7
-8,6
-7,5
Linke
9,0
-9,3
-6,4
-6,9
AfD
7,4
7,4
4,8
5,3

Das erwartete Bild einer überdurchschnittlich stark gesunkenen Wahlbeteiligung und eines Nettogewinns des oppositionellen schwarz-gelben Lagers findet man im vor allem betroffenen Stimmbezirk 534-01 in Farge, der die kontaminierten Wohngebiete in der Nähe der beide Verladebahnhöfe umfasst. Hier liegt der Zugewinn der CDU mit 12,5 Prozentpunkten deutlich über dem Verlust der FDP, während die SPD nur unterdurchschnittlich viele Stimmen für sich zusätzlich gewinnen konnte. 

Auffallend sind in diesem Teil Farges die extrem hohen Verluste der Linken. Hier hat sich deren sehr früher und kontinuierlicher Kampf um mehr Aufklärung beim Tanklagerskandal offenbar nicht ausgezahlt, da auf diese Weise möglicherweise keine von der im Jahr 2009 gewonnenen Protestwähler gegen die Große Koalition dauerhaft an die Linke gebunden werden konnten.


Die Einwohner in den drei Stimmbezirken Rönnebecks und in dem zweiten Farger Stimmbezirk, der die Straßen in der Nähe der Weser umfasst, haben hingegen kaum auf die Tanklager-Kontroverse reagiert. Hier mussten nur die ohnehin schwachen Grünen etwas stärker als sonst im Bremer Norden an Prozentpunkten abgegeben.



Der soziale Brennpunkt an der George-Albrecht-Straße



Eine ganz andere Zeitdimension besitzt der schon seit etwa einem Jahrzehnt bestehende soziale Brennpunkt George-Albrecht-Straße nahe dem Blumenthaler Marktplatz, wo nicht zuletzt durch die Zuweisungspolitik der Sozialbehörde schwer integrierbare Migrantengruppen konzentriert wurden. Dadurch ist hier ein Ghetto oder eine Form von No-go-Area mit allen entsprechenden Folgen entstanden. Wirkliche Aufmerksamkeit erfuhr diese Situation jedoch erst Ende 2012, als die bundesweit vertriebene Boulevardpresse unter großen Schlagzeilen über mehrere Polizeieinsätze und brutale Kriminalfälle berichtete.


In einer anschließenden Reaktion haben die SPD und die Grünen einen Arbeitskreis und erste Maßnahmen in der Bürgerschaft beschlossen, deren konkrete Umsetzung jedoch bis zur Wahl ausstand, was die Lokalpresse moniert hat. Zusätzlich zu den Bremer Maßnahmen haben die SPD- und CDU-Fraktionen gemeinsam im Blumenthaler Beirat eine Verteilung der Wohnungen vorgeschlagen, die zu einem sozial durchmischten Wohngebiet führen soll. Lösungskonzepte wurden damit bisher nur gefordert, aber von keiner Partei konkret benannt. Das soll vielmehr nach den Vorstellungen der Sozialbehörde erst eine Quartiersmanagerin leisten.
  

Anteile der Parteien an den Zweitstimmen in % bzw. %-Punkten am 22.9.2013 im Ortsteil Blumenthal

Partei
Stimmbezirk 531-03

Ortsteil Blumenthal
insgesamt
Zeit
2013
2009-13
2009-13
Wahlbeteiligung
49,0
-1,8
-2,8
CDU
30,1
8,4
4,8
SPD
35,9
3,6
7,0
Grüne
9,0
0,7
-1,7
FDP
3,0
-4,9
-7,6
Linke
10,3
-8,2
-7,1
AfD
3,9
3,9
4,6
NPD
3,2
-0,3
0,0
Andere rechte Parteien 1)
0,0
-1,8
-0,8

1) Pro Deutschland (2013), DVU (2009) und Republikaner (2009)


Obwohl damit eine deutliche Positionierung der Parteien fehlt, gab es bei der Wahl am 22. September im Stimmbezirk in und um die George-Albrecht-Straße deutliche Verschiebungen. Dabei haben die CDU und etwas schwächer auch die AfD gewonnen, während die SPD in den anderen Teilen Blumenthals deutlich stärker zulegen konnte als in diesem besonders problembelasteten Stimmbezirk. Auch in dieser Wahl haben in diesem Quartier wieder zwischen 7% und 9 % der Wähler ihre Stimme Parteien gegeben, die eine restriktivere Zuwanderungspolitik fordern als CDU und FDP. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nur deutsche Staatsbürger wählen durften, also keine Stimmen von geduldeten Asylanten in den Urnen zu finden sind.


Dabei ist im Stimmbezirk an der George-Albrecht-Straße die NPD vergleichsweise weiterhin stark, die hier bereits in der Bürgerschaftswahl 2011 mit 6,3% ein Spitzenergebnis erzielen konnte, was zum Einzug eines Parteivertreters in den Blumenthaler Beirat beigetragen hat.


Flüchtlingsunterkünfte in Vegesack


In den letzten Monaten hat die Unterbringung von Flüchtlingen für viel Aufregung in Bremen gesorgt, da die Sozialbehörde die lokalen Beiräte mit Vorschlägen überrascht hat, die nicht aus einem Gesamtkonzept entwickelt waren, sondern eher wie die Produkte einer kaum strukturierten Suchaktion aussahen. 

Dadurch ist es in mehren Teilen Bremens zu Widerständen gekommen, so auch in Vegesack und dem als Standort vorgesehen Ortsteil Fähr-Lobbendorf. Vor allem in der Presse wurde dieses Thema im Anschluss an eine tumultöse Sitzung des Vegesacker Beirats zu einer emotional stark aufgeladenen Frage. So sah etwa die links-alternative taz in Vegesack einen „rassistischen Volksmob“ wüten.


Innerhalb des Beirats selbst kam es zu einer heftigen Kontroverse vor allem zwischen den Grünen und der Linken auf der einen Seite sowie der CDU auf der anderen. So konnten sich die Parteien nicht einmal auf einen gemeinsamen Antrag über ein abgestimmtes Gesamtkonzept zur Integration und Unterbringung von Flüchtlingen in Bremen einigen. Die SPD versuchte dabei die Situation zu deeskalieren, indem sie die anderen Fraktionen aufforderte, beim Thema Flüchtlinge an einem Strang zu ziehen. 

Nachdem es für den ersten von der Sozialbehörde vorgeschlagenen Standort Sportplatz „Fährer Flur“ keine Beiratsmehrheit gab, da SPD, CDU, FDP und Bürger in Wut dagegen stimmten, wurde als sozialverträgliche Alternative ein Gelände an der Jacobs Uni ins Gespräch gebracht.

    

Anteile der Parteien an den Zweitstimmen in % bzw. %-Punkten am 22.9.2013 in Fähr-Lobbendorf
  
Partei
Stimmbezirk
525-03 in Fähr

Ortsteil Fähr-Lobbendorf insgesamt
Zeit
2013
2019-13
2019-13
Wahlbeteiligung
59,9
-5,7
-2,7
CDU
27,7 
+5,0
5,6
SPD
38,8 
+3,2
6,0
Grüne
8,4 
-3,2
-2,5
FDP
3,3 
-6,8
-6,9
Linke
7,2 
-5,1
-7,0
AfD
6,0
+6,0
+5,1


Im Wahlbezirk am Fährer Sportplatz hat die Kontroverse um die Mobilbauten für Flüchtlinge zu einem überdurchschnittlichen Rückgang der Wahlbeteiligung geführt und zu geringfügig überdurchschnittlichen Verlusten der Grünen. Profiteur war neben der CDU, die allerdings nicht ganz die Verluste im schwarz-gelben Lager auffangen konnte, die Alternative für Deutschland, die eine restriktive Einwanderungspolitik nach kanadischem Vorbild vertritt. 


Anteile der Parteien an den Zweitstimmen in % bzw. %-Punkten am 22.9.2013 in Grohn



Partei
Stimmbezirk 522-01 in Grohn

Ortsteil Grohn insgesamt 

2013
2009-13
2009-2013
Wahlbeteiligung
56,1 
-4,0
-2,3
CDU
25,9  
+5,2
6,2
SPD
37,9  
-0.4
1,3
Grüne
10,1  
-0,3
-2,5
FDP
2,4  
-8,2
-6,9
Linke
8,6  
-5,2
-7,0
AfD
7,2 
+7,2
5,1


Obwohl um die Unterbringung von Flüchtlingen in Grohn nicht derart intensiv im Beirat gekämpft wurde, sondern der Standort auf Vermittlung der Jacobs-Uni als Kompromisslösung vom Beirat beschlossen wurde, entspricht das Wahlergebnis im unmittelbar betroffenen Stimmbezirk tendenziell dem Wahlergebnis in Fähr. Für einige Parteien ist es sogar noch eindeutiger; denn in Grohn hat sich der Stimmenanteil der SPD geringfügig reduziert, während die AfD sogar 7,2 % erreichte. Während der Rückgang der Wahlbeteiligung der Entwicklung in Fahr entspricht, liegt der Gewinn der CDU sogar unter dem im gesamten Ortsteil Grohn und auch unter den Verlusten der FDP. Hier scheint also vor allem die AfD mit ihrer klaren Position in der Zuwanderungsfrage vom Bürgerprotest Protest profitiert zu haben, zumal die CDU diesen Standort nicht abgelehnt hat.



Bürgeraktivitäten gegen Reihenhäuser und Blockwohnungen an der Billungstraße


Eine ganz andere Form von Konflikt besteht im Ortsteil St. Magnus, der aufgrund seines hohen sozialen Status für den Bremer Norden untypisch ist. So geht es auch in dieser Kontorverse eher um eine Kritik auf einem hohem Anspruchsniveau.

Die im Sommer 2012 gegründete Bürgerinitaitve „Grünes St. Magnus“ weht sich hier gegen den Bebauungsplan 1274, der auf dem Gelände des Bremer Gartenbauamtes an der Billungstraße ein „Massen-Bauprojekt mit bis zu 50 Wohneinheiten“ vorsieht.

Damit schließt man an eine ähnliche Aktion der Bürgerinitiative Nachbarschaft Gut Weilen an, die den Bau von „zwei überdimensionierten Fünf-Familienhäusern“ verhindert hat.

Anstelle der zusätzlichen Wohnbebauung, für die man wegen rückläufiger Bevölkerungszahlen keine Notwendigkeit sieht, möchte die Bürgerinitiative auf der letzten Freifläche des Ortsteil, die zudem seine geografische Mitte ist, einen „Grünen Marktplatz“ sehen, der das gemeinschaftliche Stadtteilleben „fördert und belebt“.

Damit gerät die Bürgerinitiative in Konflikt zu den Absichten der rotgrünen Koalition in Bremen, die für mehr soziale Durchmischung in St. Magnus sorgen will. Das ist für die Gegner der Bebauung jedoch ein Argument, das die bestehende Durchmischung und den hohen Anteil der Wohnblockbebauung übersieht.

  

Anteile der Parteien an den Zweitstimmen in % bzw. %-Punkten am 22.9.2013 in St. Magnus

Partei
Stimmbezirk 515-01

Ortsteil St. Magnus insgesamt 
Zeit
2013
2009-2013
2009-13
Wahlbeteiligung
55,7 
-2,7
-1,7
CDU
42,7  
+10,6
6,5
SPD
28,9  
+2,8
3,9
Grüne
9,9  
-1,8
-2,7
FDP
5,2  
-7,1
-8,4
Linke
5,7  
-6,0
-3,8

In St. Magnus hat die CDU sehr deutliche Vorteile aus dem Streit um den Bebauungsplan 1274 ziehen können, denn in dem unmittelbar betroffenen Stimmbezirk hat sie mit einem Plus von 10,6 Prozentpunkten deutlich mehr gewonnen hat als die FDP als Verlust zu verbuchen hat. Im rot-rot-grünen Lager schnitt die SPD relativ gesehen schlecht ab, da sie von den deutlichen Verlusten der Linken nur unwesentlich profitieren konnten. Ihr Zugewinn von 2,8 Prozentpunkten liegt jedenfalls deutlich unter dem Wert für den gesamten Ortsteil und auch für Bremen.

Neben dem Votum zugunsten der CDU ist es in geringerem Maße auch zu einer auch im Vergleich rückläufigen Wahlbeteiligung gekommen.



Der Wahlkampfeinsatz des Kanzlerkandidaten in Marßel



Ein Blick auf die Entwicklung einzelner Stimmbezirke kann nicht nur interessant sein, wenn er Auskünfte auf die Reaktion der Wähler auf konkrete politische Kontroversen verspricht, sondern auch wenn es um die Auswirkungen von nicht ganz üblichen Wahlkampfeinsätzen geht.

Ein solches Ereignis war für Bremen-Nord der Besuch des SPD-Kanzlerkandidaten auf seiner Länderreise am 30. Mai in Marßel, also in einem ehemaligen WiN-Gebiet, das heute noch flankierende Fördermaßnahmen erhält.


Während der Besuch für den Kandidaten sicherlich nicht zu den Höhepunkten seiner Wahlkampftour zählte, war es für das kleine Marßel am Rande Bremens und besonders die Sportgemeinschaft Marßel als offizieller Gastgeber ein Ereignis. So waren auch nicht nur die unmittelbaren Parteigremien beteiligt, sondern auch Nachbarschaftsinitiativen und Sportvereine sowie der Vorsitzende des Nachbarschaftshauses, also des Zentrums des WiN-Quartiers.

Daher wurde in den Gesprächen auch die niedrige Wahlbeteiligung angesprochen und vom Vorsitzenden der Stadtteilinitiative „Wir in Marßel“ sogar ein konkretes Ziel für die Integrationsarbeit genannt. Man wollte danach eine Erhöhung der Wahlbeteiligung im Quartier um 2 Prozent erreichen



Anteile der Parteien an den Zweitstimmen in % bzw. %-Punkten am 22.9.2013 in Burgdamm


Partei
Stimmbezirk 513-06

Ortsteil Burgdamm insgesamt 
Wahlberechtigte
2013
2009-2013
2009-2013
Wahlbeteiligung
40,1
-5,1
-2,4
CDU
28,7
+7,5
6,2
SPD
44,0
6,3
6,2
Grüne
4,0
-1,7
-3,1
FDP
1,6
-5,1
-7,1
Linke
11,3
-9,2
6,1

Hier entsprach das Wahlergebnis am 22. September weitgehend dem eines typischen Bremer WiN-Gebietes, auch wenn Marßel inzwischen nur noch flankierend gefördert wird. Der Stimmbezirk weist eine niedrige Wahlbeteiligung und einen hohen SPD-Anteil auf, der deutlich über 40 % liegt. 

Besondere Merkmale sind hingegen der SPD-Zugewinn, der insgesamt überdurchschnittlich hoch und im Stimmbezirk sogar noch geringfügig über dem Wert von Burgdamm liegt. Das könnte eine Folge des Besuchs sein. Allerdings hat die CDU noch stärker zugelegt und der SPD-Zuwachs kann den hohen Verlust der Linken nicht ausgleichen. Der Erfolg des Marßel-Besuchs für die SPD dürfte daher begrenzt gewesen sein.


Erheblich eindeutiger sieht es beim Wahlziel „Zwei Prozentpunkte höhere Wahlbeteiligung“ aus. Hier stimmte in ganz Burgdamm mit –2,4 Prozentpunkten das Vorzeichen nicht und an die Urnen des Stimmbezirks 513-06 sind sogar deutlich weniger Wahlberechtigte als 2009 gegangen. Die potenziellen Nichtwähler konnten also mit dieser PR-Maßnahme eines Kandidatenbesuchs nicht erreicht werden.


Resümee

Auch wenn die Auswertung der Ergebnisse kleiner Stimmbezirke einige Problem aufwirft, findet man in den hier betrachteten fünf Einzelfällen Abweichungen vom Bremer und sozialräumlichen Durchschnitt, die sich als Wirkung der betrachteten politischen Konflikte erklären lassen. Sie entsprechen zumindest den theoretisch abgeleiteten Erwartungen, indem aufgrund entstehender Dilemmata die Wahlbeteiligung zurückgegangen ist und die Parteien gewinnen konnten, die Positionen von Bürgerinitiativen und engagierten Bürgern vertreten. 

Eine Ausnahme bildet dabei allerdings die Linke in Farge und Rönnebeck, deren hohe Stimmanteile 2009 offenbar weitgehend aus der damaligen Situation der SPD resultierten, sodass diese Anteile kein Maßstab für die tatsächliche Stärke dieser Partei waren.



Quelle:
Drieling, Regina, SPD-Bastion in den WiN-Gebieten. Stadtforscher Dr. Reinhard Landwehr zu Wahlergebnissen und sozialräumiger Struktur, in : BLV vom 2.10.2013.
















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