Montag, 10. März 2014

BWK: Blumenthal


Blumenthal – ein fast siamesischer Zwilling der BWK







Blumenthal als Bauern- und Fischerdorf

Die Gründung der BKW war für Blumenthal ähnlich bedeutsam wie die von Volkswagen für Wolfsburg oder die von Bayer für Leverkusen. Zwar hatte Blumenthal mit seiner Burg schon eine eigene Geschichte, die urkundlich bis 1305 zurückreicht, aber die Gründung der BWK machte erst aus einem ländlichen Bauern- und Fischerdorf eine kleine Industriestadt. 

So scheint Blumenthal über Jahrhunderte hinweg nur aus wenigen Häusern bestanden zu haben, denn für das Jahr 1571 wird berichtet, dass damals durch Blitzschlag sieben Häuser zerstört wurden und damit mehr als die Hälfte des gesamten Dorfes. Die Landwirtschaft und die Weserfische konnten offenbar nicht mehr Einwohner ernähren.



                                         Bild an einem Hochhaus in Blumenthal



Das Kahnschifferdorf an der Weser


Ein deutlicher Aufschwung setzte erst mit dem wachsenden Seehandel und der Industrialisierung in Bremen ein, als die Segelschiffe der Wätjens-Reederei durch Dampfschiffe mit einem größeren Tiefgang abgelöst wurden, die meist in Bremerhaven gelöscht werden mussten.

Diese Lücke in der Logistikkette zwischen der Nordseeküste und den Kunden in Bremen wurde durch Kahnschiffer geschlossen, die mit kleineren Schiffstypen wie Weserkahn, Ever und Tjalk den Warentransport zwischen Bremen und den Häfen der Wesermündung übernahmen. An diese Zeit erinnert im Stadtteil Blumenthal heute das Kahnschifferhaus in der Straße „Unterm Berg“ in Rekum. Im vorigen Jahrhundert sollen allein an dieser Straße mindestens elf selbständige Schiffer gewohnt haben.

Zusammen mit den später eingemeindeten Ortschaften Farge, Rekum, Lüssum-Bockhorn und Rönnebeck zählte Blumenthal dank dieser neuen Arbeitsplätze im Jahre 1820 erstmals über 1.000 Einwohner. Durch den weiteren wirtschaftlichen Aufschwung, den die blühende Kahnschifferei mit sich brachte, verdreifachte sich anschließend die Zahl der Einwohner bis 1860. (Warsewa, S. 5) 



Kleine Fabriken und die große Wollkämmerei


Das Zeitalter der Industrialisierung begann in Bumenthal mit der Gründung einer Ziegelei, deren Steine für den Bau neuer Wohnungen benötigt wurden. Weitere gewerbliche Arbeitsplätze gab es noch in einer Gerberei und einer Werft. So zählte der Ort selbst  im Jahr 1880 1.330 Einwohner.

Das ganz große Entwicklungsschub erfolgte dann allerdings erst ab 1883 mit dem Bau der BWK. Dieser Impuls betraf jedoch nicht nur die Bauphase, sondern noch stärker die anschließende Produktion, für die viele Arbeitskräfte benötigt wurden. Die brauchten wiederum eine Wohnung und verfügten trotz des damals nicht grade üppigen Lohnniveaus als Konsumenten über Kaufkraft, wodurch Händler und Dienstleister eine Chance erhielten.

Parallel zu dieser Entwicklung Blumenthals zu einem Industrieort konnte Blumenthal am 1. April 1885 von einer Neuordnung der Kreise in der preußischen Provinz Hannover profitieren. Der neue Kreis Blumenthal bestand aus 39 damals relativ kleinen Gemeinden und hatte 1890 22.500 Einwohner, die auf 175 qkm lebten, also einer Fläche, die nicht ganz die Größe von Bremen-Nord und Schwanewede entspricht. Blumenthal stieg damit in de Rang einer Kreisstadt auf, in der ein Landrat seinen Sitz hatte. Das war damals in der Bismarckzeit, als das Sozialistengesetz noch in Kraft war, Paul Berthold, der auf der Burg Blumenthal seinen Amtssitz hatte.

Der Blumenthaler Heimatforscher Ulf Fiedler weist für diese Zeit des industriellen Aufbruchs auf einen besonderen Glücksfall für die weitere Entwicklung hin, die er in einem „jungen Team“ aus den Herren Ullrich und Jung von der BWK sowie Berthold auf der Verwaltungsseite sieht. So zog 1884 der erst 29jährige Paul Berthold als erster preußischer Landrat ins Haus Blomendal, der weitgehend in Kooperation mit dem BWK-Vorstand die Kommunalpolitik der kommenden Jahre prägte.

Nachfolger des ersten Blumenthaler Landrats wurde im Dezember 1920 Ludwig Christians, der sich als Lehrer in Vegesack und später als Schulinspektor für Volksschulen für die Arbeiterbildung und den Wohnungsbau eingesetzt hat. Er wurde nach einer Pattsituation im Kreistag vom damaligen sozialdemokratischen preußischen Innenminister Carl Wilhelm Severing eingesetzt. Damit führte die durch die BWK veränderte Sozialstruktur mit einigen Jahrzehnten Verspätung zu neuen politischen Machtverhältnissen. Allerdings blieb dieser Wandel von einem eher konservativen Politiker des Kaiserreichs zu einem linken Sozialdemokraten zeitlich begrenzt, denn bereits im Juli 1932 wurde der Landrat Christians durch den rechtskonservativen Reichskommissar von Franz von Papen nach der Absetzung der preußischen Regierung, dem sogenannten Preußenschlag, seines Amtes enthoben.(Sir Charles 19)


Die Entstehung der Industriestadt Blumenthal



Mit dem Wandel zur Industrie- und Kreisstadt war ein rasches Bevölkerungswachstum verbunden, das zahlreiche Baumaßnahmen erforderte, die Blumenthal grundlegend veränderten. So mussten die Neubürger mit Wohnraum und Dienstleistungen der verschiedensten Art versorgt werden. Daneben stellte sich, da viele Zuwanderer kein Deutsch sprachen und von den Blumenthalern als Polen wahrgenommen wurden, eine Integrationsaufgabe.



Eine andere Zeit: Größere und neue Kirchen für Zuwanderer



Als wichtige und daher vorrangige Aufgabe scheint man im Kaiserreich ausreichend große Kirchen für den Besuch von Gottesdiensten und Messen gesehen zu haben, und zwar denen der richtigen christlichen Konfession. Das war in Blumenthal nicht ganz unproblematisch, da die traditionelle Kirche abweichend von fast dem gesamten norddeutschen Umland reformiert war, also bestenfalls für eine kleine Minderheit der Neubürger die richtige Kirche dargestellt hat.


   Ev.-ref. Kirche von 1877-9 (Quelle: wikipeda)


Daher setzte eine Phase des Kirchenbaus ein, der von der BWK finanziell unterstützt wurde. So entstand bereits 1877-9 ein Neubau der reformierten Kirche ganz in der Nähe des BWK und des späteren Rathauses an der Landrat-Christians-Straße im Stil der Neo-Gotik, und die katholische Pfarrkirche St. Marien an der Fresenbergstraße, die stetig erweitert worden war, erhielt 1892 eine eindrucksvoll bemalte Holzdecke für das Mittelschiff. Diese Kirche liegt damit praktisch im Wohnquartier der BWK-Arbeiter, während die beiden evangelischen Kirchen eher dort zu finden sind, wo damals die Angestellten und der Vorstand der BWK wohnten.


Durch die Zuwanderung der polnischen Arbeiter wuchs die vorher kleine katholische Gemeinde bis 1900 um ein Drittel auf 3.000 Mitglieder. Im Gemeindeleben wollten die polnischen Gläubigen die religiösen Traditionen ihrer alten Heimat beibehalten, was zu einem Konflikt mit dem preußischen Landrat führte, der keine polnisch-nationalistischen Banner auf Prozessionen sehen wollte. Erst der Einsatz des BWK-Direktor Ferdinand Ullrich konnte eine Versetzung des Blumenthalers Pfarrers verhindern, der durch Messen, die von einem polnischen Kollegen gehalten wurden, in der Kirche den polnischen Gläubigen ein Stück ihrer alten Heimat erhalten wollte. (Kölling)

Die lutherische Martin-Luther-Kirche an der Wigmodistraße wurde schließlich zwischen 1902 und 1903 erbaut und rundet damit diese Ära des Kirchenneubaus ab.

 Martin-Luther-Kirche 1902-3 (Quelle: wikipedia) 


Der Wohnungsbau und die Gewosie


Der Landrat Paul Berthold, der vielen seiner Mitbürger im kaiserlichen Deutschland als „König von Blumenthal“ im Gedächtnis blieb, wollte die Wohnungsmisere, die durch die rasche Zuwanderung von Arbeitskräften entstand, vor allem durch eine genossenschaftliche Lösung beseitigen. Er setzte also nicht auf den Staat wie seine sozialdemokratischen Gegenspieler, sondern auf eine Eigentumsbildung bei den Arbeitern, die damit nach und nach durch ihre angesammelten Ersparnisse zu Besitzbürgern werden sollten. So entstand 1892-3, also ein knappes Jahrzehnt nach der Gründung der BWK, durch ihn der Verein zur Förderung des Wohnens der Arbeiter. 1894 gründete der Landrat dann als Genossenschaft den Spar- und Bauverein Blumenthal. Dieser Verein startete ganz klein mit 55 Anteilen zu je 200 Mark, sodass man nicht erwarten konnte, dass sich aus dieser Wohnungsbaugenossenschaft Spar- und Bauverein Blumenthal die heute größte Wohnungsgesellschaft des Bremer Nordens, die Gewosie, entwickeln würde. Allerdings konnte die Genossenschaft bereits in den ersten zehn Jahren ihres Bestehens Wohnraum für 3.500 Einwohner schaffen (Sir Charles 17)

Im Stil der damaligen Zeit heißt es im Geschäftsbericht 1905 ganz ohne politische Rücksichtnahmen: „Der Landrat und einige Kreisausschussmitglieder, die Direktoren und einige Aufsichtsratsmitglieder der Bremer Wollkämmerei, einige Gemeindevorsteher und andere gemeinnützig denkenden Leute, sowie 7 einsichtige Arbeiter traten zur Begründung des Spar- und Bauvereins Blumenthal zusammen am 9. Mai 1894.“(Sir Charles 21)

Gebaut wurde damals vor allem das sogenannte zweistöckige Grohner Haus, das eine Grundfläche von 7 m mal 7,25 m und auf Grundstücken von 17,5 m mal 75 m, also gut 1.300 qm, gebaut wurde. Hinzu kam ein Stall für die Selbstversorgung.


Auch wenn sich die damaligen und die heutigen Verhältnisse kaum vergleichen lassen, konnte die Genossenschaft ihre Wohnungen zu einem Preis anbieten, der unter dem vergleichbarer Mietwohnungen lag. Falls das Geld vorhanden war, konnten die Genossenschaftsmitglieder die Gebäude auch kaufen, und zwar zu einem jährlichen Ratenpreis von 72 Mark. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Durchschnittslohn der BWK-Arbeiter damals drei Mark pro Tag betrug. (Ebenda)

Der Einsatz des Blumenthaler Landrats für die Wohnungsbaugenossenschaften wurde auch überregional anerkannt. So hat er 1896 den Verband der Baugenossenschaften Deutschlands mitbegründet, bevor er 1906 Direktor des neugegründeten Verbandes der Baugenossenschaften in Niedersachsen wurde.


Eine Kreisstadt mit Rathaus und Gericht

Das Stadtbild Blumenthals veränderte sich während des kaiserlichen Deutschlands nicht nur durch die BWK, die Kirchen und den Wohnungsbau, sondern auch durch eine Reihe anderer Öffentlicher Gebäude, die den Wandel von einem Weserdorf zu einer kleinen Kreisstadt baulich sichtbar machten. Hierzu zählen das Amtsgericht, das zwischen 1897 und 1899 gebaut wurde, und das in den Jahren 1908 bis 1910 errichtete Rathaus.


         Rathaus (Quelle:Wikipedia, Fotograf: Quarz) 


Auch sind der Bau von Schulen und des Kreiskrankenhauses sowie die Straßenbeleuchtung und die allgemeine Stromversorgung bis 1904 auf den Einfluss bzw. die Förderung der BWK zurückzuführen. So wurde im Dezember 1897 ein Stromliefervertrag über zehn Jahre abgeschlossen. 

Das Kreiskrankenhaus wurde auf einem vom Landkreis 1904 gekauften Grundstück am Ostrand Blumenthals 1908 eingeweiht. Damals gab es dort 68 Betten für die vier Abteilungen Chirurgie, Innere Medizin, Gynäkologie und Röntgen.

Besonders eng war die Symbiose zwischen dem Werk und der Gemeinde Blumenthal bei der Feuerwehr, denn nachdem im Herbst 1888 der Landrat wegen einiger Streitigkeiten die Blumenthaler Feuerwehr kurzerhand aufgelöst hatte, übernahm die Werksfeuerwehr die entsprechenden Aufgaben auch für Blumenthal (100 Jahre Feuerwehr).

Allerdings gab es nicht nur Bewunderer des sichtbaren Aufschwungs im Ort. So erzählt die Reformpädagogin und Schriftstellerin Tami Oelfken in ihrem Roman „Maddo Clüver“ von den damaligen Umweltbelastungen, so von Fischen, die „starben und an Land trieben“ sowie „fünf unmäßig hohen Schornsteinen“, die „Tag und Nacht lange Schwaden vom Rauch in die Luft sandten.



Der Beginn des Eisenbahnzeitalters


Die Wollkämmerei sorgte jedoch nicht nur für einen deutlichen Einwohnerzuwachs. Sie war auch beim Bau der 10,4 km langen Strecke der Farge-Vegesacker-Eisenbahn (FVE) wichtigster Kapitalgeber und später ihr Kunde. Dabei trat allerdings ein gravierendes Problem auf, denn die Bahn wurde zwar Ende 1888 eröffnet, aber das Anschlussgleis zwischen dem Werksgelände und dem Bahnhof Blumenthal durfte zunächst nicht gelegt werden, da es über eine Grabstelle des alten Friedhofs geführt hätte, die der Inhaber nicht aufgeben wollte. Daher mussten bis zum Ende der Liegefrist im Jahr 1910 die mit Wolle beladenen Güterwagen mit einem Stahlschlitten, der von Pferden gezogen wurde, zwischen einer Drehscheibe der Bahnlinie und dem Werksgelände hin und her fahren.


                     Strecke der Farge-Vegesacker-Eisenbahn (Quelle: wikipedia)




Die Integration polnischer Arbeitskräfte 



Da die BWK die nötigen Arbeitskräfte nicht aus der heimischen Fischerei und Landwirtschaft rekrutieren konnte, war sie auf eine systematische Anwerbung ausländischer Mitarbeiter angewiesen, die man jedoch von Anfang an nicht als kurzfristige Gastarbeiter betrachtete. Vielmehr baute die BKW wie auch andere große Textilunternehmen in der damaligen Zeit ganze Straßenzüge mit Wohnhäusern. So besaß der Konzern zur Zeit des Zweiten Weltkrieges 56.000 qm bebaute Fläche mit Häusern für die eigene Belegschaft. „Migration“ und „Integration“ waren also schon damals, wenn auch nicht als Begriffe, gelebter Alltag.

Die Beschäftigung von polnisch sprechenden Arbeitskräften, die zwar juristisch gesehen ebenso wie die Blumenthaler damals preußische Staatsangehörige waren, wurde von den staatlichen Stellen auch als Teil der Germanisierungspolitik gesehen und betrieben.

Die „Integrationspolitik“ von damals war also nicht mit der Anwerbung von Gastarbeitern während des Wirtschaftswunders ab dem Ende der 1950_er Jahre und den heutigen Vorstellungen einer multikulturellen Gesellschaft vergleichbar. Offizielle Politik war es in Preußen, aus den Polen möglichst schnell Deutsche und damit auch Blumenthaler zu machen. Man kann daher von einer mehr oder weniger erzwungenen Assimilation sprechen, sodass die ehemaligen Polen relativ rasch ihre Sprache und Identifikation mit Polen aufgeben mussten, während sie ihren katholischen Glauben behalten durften. 


Wie das konkret in Blumenthal aussah, schildert die Schriftstellerin Tami Olefken in ihrem teilweise autobiografischen Roman Maddo Cluwer“. Darin ist die Zuwanderung der Polen, die nach Hunderten zählten und das „Dorf von Grund auf veränderten“, ein wichtiges Thema. Die unverheirateten Polen wohnten damals, wie sie schildert, nach Geschlechtern getrennt in „Kasernen“. Aber es gab, wie es in einem Roman nicht anders zu erwarten ist, auch Liebesgeschichten zwischen den Ethnien. So schildert Tami Olefken einen frisch gekürten einheimischen Schützenkönig, der unerschrocken zur Gruppe der polnischen Mädchen ging, vor einer Marinka niederkniete und dieser jungen polnischen Dame den Königskranz aufs Haar setzte.

Diese romantische Szene steht für ein ganz reales Heiratsverhalten in jeden Jahren; denn in der zweiten Generation schlossen bereits zwei Drittel alle Polen eine Ehe mit einem Deutsche und die Kinder sprachen dann Deutsch. Nach dem ersten Weltkrieg gab es daher nur noch Blumenthaler (Kölling).





Die Bauphase während der Goldenen Zwanziger


Ein zweite größere Bauphase wurde in Blumenthal erst wieder nach den Einschnitten des 1. Weltkrieges und den Inflationsjahren in den sogenannten Goldenen Zwanzigern möglich. Damals konnte Blumenthal sich nicht zuletzt dank der Steuergelder der BWK zwischen 1925 und 1927 eine Abwasserkanalisation und das Wasserwerk leisten, dessen 50 Meter hoher Wasserturm noch immer ein Wahrzeichen des Ortes ist.



                                              Wasserturm an der Mühlenstraße
                                   


Die BWK als Bauherr und Sponsor


Um die neu angeworbenen Mitarbeiter mit Wohnraum zu versorgen, hat die BWK sich nicht nur im genossenschaftlichen Wohnungsbau engagiert, sondern auch wie andere Unternehmen in der damaligen Zeit selbst Wohnungen gebaut.

Auch wenn inzwischen einige aus den Gründerjahren durch Neubauten ersetzt wurden, erinnern die unter der Ägide der BWK errichteten Wohnhäuser weiterhin an das ehemalige Blumenthaler Weltunternehmen.

Zu nennen sind hier in unmittelbarer Nähe zur BWK die Häuser an der George-Abrecht-Straße. Hier standen auch die Wohnheime für die damaligen Single-Haushalte, wo ursprünglich trennt nach Geschlechtern getrennt gewohnt werden musste.



                             Wohnheim an der George-Albrecht-Straße (Quelle: Förderverein)


Im Zuge ihrer Restrukturierungsmaßnahmen hat die BWK Mitte 1998 diese Gebäude verkauft. Der erste neue Eigentümer begann hier gleich mit Verschönerungsarbeiten an den Fassaden.




Modernisierte Mehrfamilienhäuser (Quelle: Sir Charles/Förderverein)



Spätere Besitzer verfolgten dann offensichtlich eine andere Strategie der Profitmaximierung. So hat die George-Albrecht-Straße inzwischen durch die Entstehung eines sozialen Ghettos ein negatives Image bekommen.



             George-Albrecht-Straße heute


Besorgte Blumenthaler befürchten eine ähnliche Entwicklung inzwischen auch für die von der BWK ursprünglich ebenfalls errichteten Mehrfamilienhäuser an der Richard-Jung-Straße, deren Bau 1922 auf Initiative des BWK-Generaldirektors Richard Jung begann. Allerdings wirken in dieser kleinen Gartenstadt die baulichen Voraussetzungen wegen der geringen Einwohnerdichte und der großen Gärten und Grünflächen dieser Gefahr erheblich entgegen.

"Gartenstadt" an der Rchard-Jung-Straße


Eine ganz andere Entwicklung haben die ehemaligen Häuser der leitenden Angestellten genommen, die man an der Wigmodi- und der Martin-Luther-Straße findet. Sie erscheinen heute als sehr attraktive Altbauten, die den historischen Charme einer vergangenen Zeit besitzen.


                                      "Beamtenhaus" an der Martin-Luther-Straße



Die BWK sorgte jedoch nicht nur Wohnraum, sondern brachte auch durch Veranstaltungen auf dem Werksgelände kulturelles Leben nach Blumenthal. So spielte 1995 das Sydney Symphony Orchestra in der Rohwollhalle. Ihm folgte 1996 das Ensemble Modern mit Werken von Beethoven und Stockhausen in der Halle 173. Ebenfalls hier gestaltete das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin einen Gershwin-Abend.

Schließlich folgte noch im Jahr 2000 die Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, für die die BWK jedoch nicht mehr als finanzieller Sponsor auftrat, sondern nur die Rohwollhalle zur Verfügung stellte. So sollte das Werk des Kapitalismus-Kritikers Bertold Brecht zu einem Vorzeichen auf das Ende der BWK werden, nachdem sie selbst zuvor ein phänomenales Wachstum erlebt hatte.




        Werbetafel für "Klassik in der Wollkämmerei" (Quelle:Sir Charles (Förderverein))



Der gemeinsame Rhythmus von Werk und Stadt


Aufgrund ihrer überragenden Größe hat die Kämmerei immer auch das Stadtbild Blumenthals und das Leben der Bewohner mitgeprägt. Das galt vor allem für die Zeit, in der die Zahl der Mitarbeiter noch weit über 1.000 lag. So findet man in alten Berichten über die 1950_er Jahre, als noch fast 5.000 Menschen im Werk arbeiteten. Darin wird von Menschenströmen berichtet, die dem Zeittakt der BWK folgten. „So entwickelte sich die Mühlenstraße zu einer sehr belebten Einkaufsstraße mit vielen Gaststätten, ja, sie war, wie sich ältere Anwohner noch erinnern können, „schwarz vor Menschen“, „die morgens auf dem Weg zur Arbeit in der Kämmerei waren. Oder nachmittags von daher kamen, dann hier ihre Feierabendeinkäufe erledigten oder schon mal zum ersten Bier nach der Schicht einkehrten.“ (Scheil)


Feierabend bei der BWK (Quelle: Förderverein) 


War diese werktägliche Erscheinung zwar eine unmittelbare Folge eines Betriebs, der keine flexible Arbeitszeit kennt, bestimmte die BKW auch in weiteren Bereichen den Lebensrhythmus in Blumental. So heißt es etwa die Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Kämmerei, dass man die Sirene beim Schichtwechsel abgeschafft habe. Und ergänzt diese Modernisierung des Arbeitslebens mit dem Hinweis: „Viele Blumenthaler bedauern das. Man konnte nämlich im ganzen Ort die Uhr danach stellen. Aber das ist jetzt vorbei. Vielleicht würde man den Ton als Lärmbelästigung empfinden.“ (100 Jahre, S. 47)

Aber auch in späteren Jahren sollen noch einige Blumenthaler ihre Uhr nach der Werksuhr gestellt haben, die für sie die „richtige“ Zeit angab. Aber das waren eben anderen Zeiten, die noch keine durch Zeitzeichen gesteuerten Funkuhren kannten.


Die BWK sandte jedoch nicht nur akustische und visuelle Signale an ihr Nachbarschaft aus, sondern informierte auch den Geruchssinn. Über den von den meisten als unangenehm empfundenen Eigengeruch der Schafwolle, den die BWK selbst als „Duft“ bezeichnete (Sir Charles 58, S.3), erfuhren die Anwohner etwas von der Marktlage auf dem globalen Wollmarkt, da diese Belästigung anzeigte, das es in der Kämmerei Wolle gewaschen wurde. Die verbreitet Redensart „Wenn es in Blumenthal nach Wolle riecht, geht es den Blumenthaler gut“, hatte daher in der Nachbarschaft der BWK immer eine mehrschichtige Bedeutung. Schließlich sollte sie den Ärger über die ständige Geruchsbelästigung durch eine
ökonomische Überlegung abbauen. Der Geruch zeigte schließlich an, ob die zyklischen Bewegungen des globalen Wollmarktes zu Kurzarbeit bei der BWK geführt hatten oder nicht.


Der Blumenthaler BWK-Streit


                                                  Cover des Leopold-Buches

Auch wenn Blumenthal immer seine Abhängigkeit von der mächtigen BWK mit ihren Vor- und Nachteilen gesehen hat, sorgte die Geschichte der BWK für einen manifesten Streit. Und das sogar über 40 Jahre nach dem eigentlichen Geschehen. Anfang 1986 hatte im Rahmen eines Programms des Kultursenators Volkmar Leohold ein Manuskript über das Leben der Beschäftigten bei der BWK geschrieben, das er zur Diskussion an einige Funktionsträger bei der BWK und in Blumenthal geschickt hatte.

Dieser unveröffentlichte Text führte beim Mangagement der BWK zu heftigen Reaktionen (Sir Charles 2), da er die Arbeit für ein „Zerrbild“ der Wirklichkeit hielt. (Sir Charles 2). Diese recht pauschale Kritik wurde im Laufe der folgenden Diskussion auf die Behandlung der Zwangsarbeiter während der Kriegszeit und den vorwurfsvollen Hinweis auf eine bisher in der lokalen Geschichtsschreibung fehlende Aufarbeitung der NS-Zeit präzisiert.

Damals beschränkte sich die Auseinandersetzung jedoch kaum auf diese konkreten Fragestellungen. Es kam vielmehr zu einer Spaltung der interessierten Einwohnerschaft, die offenbar tiefer ging und älter war als die Beurteilung eines dokumentierten Sachverhalts. Auf der einen Seite der Konfliktlinie standen das Management der BWK und der Betriebsrat mit den DAG Vertretern sowie die DGB-Gewerkschaften, die SPD und der Bremer Bildungssenator auf der anderen. Damit ging ein Riss auch durch Blumenthal, was nicht zuletzt in einigen Diskussionsveranstaltungen im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus in Vegesack, im Gemeindehaus der Ev-ref. Kirchengemeinde Blumenthal und im Staatsarchiv Bremen sichtbar wurde (Leohold).

Nachdem seit 1996 große Unternehmen wie Volkswagen und die Deutsche Bank nicht zuletzt auf Druck einer kritischen Öffentlichkeit namhafte Wissenschaftler mit der Aufarbeitung ihrer Geschichte beauftragt haben (Schulz), wirkt diese Diskussion unverständlich, zumal die BWK sicherlich kein besonders negatives Beispiel war und auch in dem Buch von Leohold nicht so dargestellt ist.

In diesem Fall hat die BWK jedoch nicht nur wie später durch die Emissionen und die Umstellung ihres Hezkraftwerks und ihrer Eindampfungs- und Feuerungsanlage für kontroverse Diskussionen unter den Blumenthalern gesorgt, sondern zu einer außergewöhnlichen Entscheidung des Bremer Kultursenators beigetragen, dessen positive Wirkung kaum noch aus dem öffentlichen Leben Blumenthals wegzudenken ist. Im Jahr 1988 wurde das „Stadtteilgeschichtliche Dokumentationszentrum“ - also 
das DOKU Blumenthal - gegründet, "um in kultur- und bildungspolitischem Auftrag zu bewahren, was in Blumenthal je gesagt, geschrieben oder fotografiert wurde“. Damit sollte „vor allem jungen Menschen „Geschichte von unten“ und „Geschichte vor Ort“ vermittelt und Lehrbuchwissen anhand lokaler Beispiele anschaulich gemacht werden.“

Damit hat die BWK also höchst indirekt zu einer Einrichtung gesorgt, die ihresgleichen in anderen Bremer Stadtteilen suchen muss.



Das städtebauliche Erbe der BWK



Von der BWK sind nach der Einstellung der Produktion und dem Verkauf der Maschinen in Blumenthal nicht nur Erinnerungen zurückgeblieben. Daneben hat sie ihr riesiges Werksgelände mit Gebäuden, die teilweise unter Denkmalschutz stehen, sowie ihre ausgegliederten Abteilungen hinterlassen. Dazu gehören vor allem das Kraftwerk, die Eindampfungs- und Verbrennungsanlage (EVA) einschließlich der biologischen Kläranlage und der Chemiefaserbereich.

Nicht unumstritten sind dabei aufgrund möglicher Emissionen die Müllverarbeitungsbetriebe. Hier haben sich bereits in den letzten Jahren der BWK mehrere Bürgerinitiativen in Blumenthal und sogar in Berne auf der anderen Seite der Weser gebildet, um einen Betrieb dieser Anlagen zu verhindern, falls sie keinen Strom für die BWK liefern und kein Wollwaschwasser reinigen.

Die Proteste haben zunächst zu verschiedenen Schadstoffmessungen und Sonderuntersuchungen des Bremer Krebsregisters geführt. Auf dieser Grundlage wurde mit Vertretern der Bürgerinitiativen ein runder Tisch gebildet, der die Ergebnisse der Untersuchungen diskutiert und zu weiteren Auflagen für die Betreiber geführt hat. Inzwischen werden die Grenzwerte offenbar eingehalten und auch von Störfällen wird nichts mehr berichtet.


Die beiden Anlagen stellen also eher ein potenzielles Risiko für die Anwohner dar, was jedoch dennoch den Wohnwert und das Image der Quartiere neben einem Müllkraftwerk und einer Kläranlage für Chemieabfälle nicht gerade erhöht. Die Lage unmittelbar neben dem alten Zentrum Bumenthals ist also suboptimal, ganz unabhängig von dem tatsächlich messbaren Daten.

Damit sind vergleichbare Auswirkungen für die Nutzung des übrigen Geländes der BWK zu erwarten, das inzwischen über die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) , die größtenteils im Besitz des Landes Bremen ist, Bremen gehört. Hier will Bremen weiterhin ein Industrie und Gewerbegebiet entwickeln, wie es bereits das BWK-Management versucht hat. Allerdings sieht das Bauressort jetzt für die unter Denkmalschutz stehenden Backsteingebäude der BWK eine höherwertige Nutzung etwa für Künstlerateliers, Gastronomiebetriebe oder auch ein Kulturzentrum vor. Die Frage, wie sich dadurch entstehende Nutzungskonflikte vermeiden lassen und wie sich die Bebauung dieser Industriebrache tatsächlich in den nächsten Jahren vollziehen wird, dürfte für die Zukunft Blumenthals von ganz erheblicher Bedeutung sein.

Nicht nur die Gründung der BWK hat somit die Entstehung des heutigen Blumenthals ganz erheblich mitbestimmt. Entsprechendes gilt auch für ihre Schließung. Damit muss allerdings nicht zwangsläufig ein paralleler Rückbau verbunden sein, denn die sozialen und ökonomischen Rahmenbedingen haben sich in den letzten einhundertdreißig Jahren geändert. Die zukünftige Bebauung des alten Werksgeländes, das die neuen Chancen mehr oder weniger gut aufgreifen kann, wird jedoch zu einem großen Teil beeinflussen, was Blumenthal in den nächsten Jahrzehnten sein wird. So dürfte die BWK noch mindestens für einige Jahrzehnte mit dem aktuellen Schicksal Blumenthals verbunden bleiben.




            Eindampfungs- und Verbrennungsanlage


Quellen:

Bahr, Albrecht-Joachim, Blumenthal - Stadtteil mit fünf Bahnhöfen, in: Weser-Kurier vom 24.10.2010.

Fiedler, Ulf, Friedhofsruhe verhinderte Bahnanschluss. Ein historischer Gang über den evangelisch- reformierten Blumenthaler Friedhof, in: Weser-Kurier vom 19. November 2011.

Ders., Alte Fotos erzählen: Dank der Bremer Woll-Kämmerei bekam die Gemeinde Elektrizität/Kanalisation folgte später. Blumenthals Aufbruch in die Moderne, in: Weser-Kurier vom 3.2.2012.

Ders., Frühe Kritik an der Woll-Kämmerei, in: Weser-Kurier vom 30.5.2012.

Ders., BWK-Direktor und Landrat gestalten die Zukunft Blumenthals Ende des 19. Jahrhunderts gemeinsam, in: Weser-Kurier vom 31.07.2012.

Ders., Die lange Geschichte der Farge-Vegesacker-Eisenbahn: Kaiser Wilhelm I vergibt 1884 die Konzession. Bahnstrecke führt durch Obstgarten, in: Weser-Kurier vom 14.12.2013.

Kölling, Volker, Die Kirche war ihr Fixpunkt. Wie die Bremer Woll-Kämmerei Polen und Deutsche zusammenbrachte, in: Weser-Kurier vom 5.10.2013.


Leohold, Volkmar, Die Kämmeristen. Arbeitsleben auf de Bremer Woll-Kämmerei, Hamburg 1986.

Lüneburg, Karl, Vorwort, in: Oelfken, Tami, Maddo Clüver. Konturen einer Kindheit, Fulda 1988.


Meyers Konversationslexikon, Leipzig/ Wien, 4. Auflage 1885-1892.

NN, Manuskript des Morgen-Magazins von Radio Bremen am 13.3.1986.

NN, Diskussionen um „Kämmeristen. Leohold: Kein Anlass zur Revision der Geschichte von unten, in: Die Norddeutsche vom 12.4.1986.

NN, Neuer Blickwinkel der Geschichtsschreibung. Leoholds Buch: Tatsachen unbestreitbar, in: Die Norddeutsche vom 26.4.1986.

NN, Das Buch, das uns betrifft. Zerrbild und Wirklichkeit des Arbeitslebens auf der Bremer Woll-Kämmerei, Sir Charles 2, S. 7.

NN, George-Albrecht-Straße. BWK verkauft Häuser, in: Sir Charles, 38,7 (1998)


NN, Flotte Fassaden, in: Sir Charles, 39,3

NN, Straßennamen erzählen Geschichten. Heimstättenweg, in: Sir Charles, 21,7 (Grohner Haus)

NN, Straßennamen erzählen Geschichten. Richard-Jung-Str., in: Sir Charles, 17,5

NN, Straßennamen erzählen Geschichten, in: Sir Charles, 15,7.

NN, Straßennamen erzählen Geschichten. Die Zschörnerstraße, in: Sir Charles, 16,6.

NN, Straßennamen erzählen Geschichten: Landrat-Christians-Straße, in: Sir Charles, 19, S.6.

NN, 100 Jahre Farge-Vegesacker-Eisenbahn (1888-1988). Vom ersten Tage an Zusammenarbeit mit der BWK, in: Sir Charles, 8,5.

NN, Viel mehr als ein Jahrhundert Brandschutz." Allzeit bereit zum Wohle der Gemeinschaft!", in: Sir Charles, 10, 4f.

NN, Partnerschaft: Umwelt und Unternehmen. Duft der Schafwolle nicht schädlich, in: Sir Charles, 58, S. 3.

Oelfken, Tami, Maddo Clüver. Konturen einer Kindheit, Fulda 1988.

Scheil, Detlev, Einst weltweit modernste Fabrik ihrer Art, in: Weser-Kurier vom 17.03.2011

Schiemann, Heinrich, Ein Jahrhundert BWK 1883 – 1983. Eine Epoche der Woll- und Chemiefaserverarbeitung in Bremen, Bremen, 100 Jahre, S. 47.


Uphues, Andreas, Ein Manuskript sorgt für viel Wirbel. Geschäftsleitung empört, in: Welt der Arbeit vom 27.3.1986.

Schulz, Bernhard, Auftragsforschung. Outsourcing der eigenen Vergangenheit, in: Die Zeit vom 16. Januar 2012.


Warsewa, Günter, Drinda, Dorothea und Kirk, Matthias, Stadtteilkonzept Blumenthal, Bremen 2007.




 






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