Sonntag, 15. Juni 2014

BWK: NS-Zeit



Die Bremer Woll-Kämmerei während der NS-Zeit



Zwölf Jahre aus der Sicht der Geschäftsberichte und der Wirtschaftspresse



Unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers, also seiner Ernennung zum Reichskanzler und der Verabschiedung des Ermächtigungsgesetzes, wurde auch die BWK nach dem Führerprinzip „neu geordnet“. D
em „Betriebsführer“ unterstanden jetzt die Mitarbeiter als „Gefolgschaft“, er selbst war jedoch an Weisungen eines staatlich bestellten „Treuhänders der Arbeit“ gebunden. 

Die NS-Politik wirkte sich jedoch auch in anderen Bereichen aus. Die deutsche Devisenknappheit und die Autarkiepolitik stellten ein Unternehmen wie die BWK, das fast ausschließlich ausländische Rohwolle zu Kammzügen verarbeitete, die zu einem großen Teil exportiert wurden, vor erhebliche Probleme bei der Auslastung seiner Kapazitäten und damit auch bei der Beschäftigung.

Zusätzlich griffen Vorschriften über die Arbeitszeit und die Gewinnverwendung in die Geschäftspolitik ein. Auch mussten entsprechend dem NS-Frauenbild, das kinderreiche Mütter am heimischen Herd vorsah, zahlreiche weibliche Arbeitskräfte entlassen und durch männliche ersetzt werden.

Erst staatliche Vorschriften über die Verwendung von Zellstoff, der bei den Endkunden wenig beliebt war, führten wieder zu einer besseren Auslastung der Kapazitäten.

In Verlaufe des Krieges wurden die fehlenden deutschen Mitarbeiter durch „Fremdarbeiter“ ersetzt. Schließlich musste man sogar anstelle von Zellstoff Bastfasern als Substitut für die Rohwolle von Merinoschafen verwenden.

Über den Erfolg dieser Maßnahmen gibt es allerdings keine genaueren Informationen, da sich im Laufe des Krieges die Geschäftsberichte immer stärker von betriebswirtschaftlichen Darstellungen in Schilderungen einer eher sozial-karitativen Einrichtung wandelten, durch die der Zusammenhalt der „Volksgemeinschaft“ und die Verbindung mit den „bei der Wehrmacht stehenden Arbeitskameraden“ herausgestellt wurde.

Trotz aller Belastungen durch die NS-Wirtschaftspolitik und den Krieg konnte die BWK sogar noch in der im März 1945 erstellten Bilanz einen Gewinn ausweisen und die Ausschüttung einer Dividende vorschlagen.

Insgesamt hat die BWK die zwölf Jahre des „Dritten Reiches“ als intaktes Unternehmen überstanden, das auch von Zerstörungen der Werksanlagen durch Kriegseinwirkungen weitgehend verschont geblieben ist.




                                 Die BWK nach dem Lageplan von 1934 (Quelle: Förderverein)



Die „Machtergreifung“ und die „neue Ordnung“ in Deutschland



Am 30 Januar 1933 wurde Adolf Hitler, der Führer der NSDAP, vom Reichspräsidenten Hindenburg, einem adligen Großgrundbesitzer aus Ostpreußen, der als Generalfeldmarschall Deutschland während der letzten Jahre des Ersten Weltkrieges praktisch diktatorisch regiert hatte, zum Reichskanzler ernannt.

Schon recht schnell zeigte sich in den folgenden Monaten, dass es sich dabei nicht nur um die Ersetzung eines alten Reichskanzler durch einen neuen handelte, sondern um eine tiefgreifende Veränderung in 
Deutschland. Regierungswechsel waren damals in Deutschland an der Tagesordnung gewesen, da es im Reichstag keine klaren Mehrheiten gab. In der damaligen „Demokratie ohne Demokraten“ besaßen die Parteien, die sich für ein demokratisches System einsetzten, eine schwache Position. So wollten die totalitären Parteien NSDAP und KPD auf der rechten bzw. linken Seite des politischen Spektrums die von ihnen kritisierte parlamentarische Regierungsform abschaffen und durch das Führerprinzip oder die Diktatur des Proletariats ersetzen. Die große konservative Partei, die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) schließlich, der auch der Reichspräsident nahe stand, wollte die Monarchie wiederherstellen, die durch die Revolution 1918 gestürzt worden war. 




                                               Wahlplakat der SPD


Auch in der letzten Wahl vor dem 30. Januar 1933 hatte es keine klaren Mehrheiten gegeben, nicht einmal für das bestehende parlamentarische System, denn die Parteien, die es abschaffen wollten, also die NSDAP, KPD und DNVP, kamen im November 1932 auf über 58 % der Stimmen. Im Reich war damals die NSDAP mit 33,1% stärkste Partei.

Das galt jedoch nicht für alle Teile Deutschlands. So lag die „Hitlerbewegung“, wie die NSDAP auf dem Stimmzettel erläuternd benannt wurde, in Bremen mit 20,9 % der Stimmen knapp vor der rechtsliberalen Deutsche Volkspartei (DVP) und der KPD, aber deutlich hinter den Sozialdemokraten, die 31,2 % der Stimmen gewannen. In der preußischen Provinz Hannover, zu der Blumenthal damals gehörte, waren es hingegen 39,8 %.



                                                 Wahlplakat der NSDAP


Die Etablierung des NS-Staates: Das Ermächtigungsgesetz



Die hohen Stimmenanteile der radikalen Parteien auf der linken und rechten Seite hatten nicht zuletzt reale ökonomische Gründe. So waren trotz der wenigen „goldenen“ zwanziger Jahren zwischen 1924 und 1929 zahlreiche mittelständische Existenzen durch die Währungsreform vernichtet worden, was die liberalen Parteien deutlich schwächte, und die Weltwirtschaftskrise führte zu einer hohe Arbeitslosigkeit, was vor allem die KPD stärkte. 

Die ökonomische Krise erreichte 1932 mit 5,6 Millionen gemeldeten Arbeitslosen ihren Höhepunkt. Das war eine Arbeitslosenquote von 29,9 %, wobei vor allem die mangelhafte Unterstützung der Betroffenen gesehen werden muss. So waren im Winter 1931-2 etwa 3,5 Mio. Langzeitarbeitslose, die nur sehr niedrige Sozialhilfesätze erhielten, auf Nachbarschaftshilfe angewiesen. Trotz dieser geringen Leistungen wurden damals 65% der gesamten öffentlichen Ausgaben für Arbeitslosengeld und Sozialhilfe aufgewendet. 

Für viele Deutsche war damit ihre wirtschaftliche Existenz die zentrale Frage und weniger eine freiheitliche und demokratische Grundordnung.

Vor diesem Hintergrund wurde unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler durch drei Notverordnungen und Gesetze innerhalb weniger Wochen die parlamentarische Demokratie in Deutschland abgeschafft.

Am Anfang standen dabei vor der Reichstagswahl am 1933 zwei Verordnungen des Reichspräsidenten „zum Schutz von Volk und Staat“, in denen am 4. Februar die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt und am 28. Februar 1933 die verfassungsmäßigen Bürgerrechte außer Kraft gesetzt wurden. Als unmittelbarer Anlass hierfür diente der Brand des Reichstagsgebäudes in der Nacht zuvor, für den die Kommunisten von der Regierung und ihrem Propagandaapparat ohne stichhaltige Beweise verantwortlich gemacht wurden. Daher wird diese Maßnahme auch als Reichstagsbrandverordnung bezeichnet. 





                                                    Flugblatt er NSDAP vor den Wahlen am 5.3. 1933



Auf diese Weise sollten angeblich „kommunistische staatsgefährdende Gewaltakte“ abgewehrt werden, worüber allerdings keine unabhängige Instanz zu entscheiden hatte. Vielmehr wurden alle Einschränkungen der Grundrechte durch die Regierung für „zulässig“ erklärt, während gleichzeitig für Proteste Gefängnis- und Zuchthausstrafen angedroht wurden. Dadurch entstanden als Folge die ersten Konzentrationslager in Deutschland.

Nach der Abschaffung der Grundrechte per Verordnung und nach der anschließenden Reichstagswahl, als täglich politische Gegner inhaftiert wurden, folgte mit der Verabschiedung des „Gesetzes zur Behebung der Not von Volk und Reich“ am 24.3. 1933 die Abschaffung des parlamentarischen Systems. Daher wird es auch als Ermächtigungsgesetz bezeichnet.

Dieses Gesetz schaffte mit nur fünf kurzen Paragraphen das Parlament und damit die Kontrolle der Regierung durch gewählte Vertreter praktisch ab. Gesetze mussten nicht mehr vom Reichstag beschlossen werden. Vielmehr reichte dazu eine Mehrheit in der Regierung. Dabei waren sogar Reichsgesetze zulässig, die „von der Reichsverfassung abwichen". Wichtig blieb jedoch die Ausfertigung durch den Reichskanzler, also praktisch die Unterschrift durch den „Führer“.

Nicht einmal zwei Monate nach der Ernennung durch den Reichspräsidenten, als die NSDAP über keine Mehrheit im Parlament verfügte, konnte damit der Führer verbindliche Gesetze erlassen und jedem Bürger seine Rechte nehmen, ohne dass es dazu eine legale Kontrollmöglichkeit gab. 


Die auf den Straßen durch ständige Aufzüge demonstrierte Macht und die terroristischen Verhaftungen haben damals offenbar größere Demonstrationen und Proteste verhindert. Das galt auch für das Verbot der SPD als größter politischer Gegenmacht zur NSDAP, das am 22. Juni 1933 gegen diese angeblich „volks- und staatsfeindliche Organisation“ verhängt wurde.



Die „neue Ordnung“ am Arbeitsplatz : Betriebsführer und Gefolgschaft



Die Möglichkeiten des Ermächtigungsgesetzes wurden schnell genutzt, um auch die von der Regierung noch unabhängigen Gewerkschaften auszuschalten. So besetzten Mitglieder der NS-Unterorganisationen NSBO, SA und SS am 2. Mai 1933 die Gewerkschaftshäuser. Diese Aktionen wurden dann nachträglich durch das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ vom 20. Januar 1934 legitimiert. 


Dieses Gesetz veränderte das Wirtschaftsleben grundlegend, indem es das Streikrecht sowie die Tarifautonomie von Arbeitgebern und Arbeitnehmern sowie deren Organisationen, also vor allem die Gewerkschaften, auflöste, wichtige Unternehmensentscheidungen zur Arbeitsorganisation und zur Lohnpolitik von der Zustimmung eines staatlich bestellten „Treuhänder der Arbeit“ abhängig machte und generell das Führerprinzip in jedem deutschen Betrieb einführte.

Im Reich trat an die Stelle der Gewerkschaften, deren Vermögen eingezogen wurde, als Zwangsorganisation von Arbeitgebern und Arbeitnehmern die am 10.5.1933 gegründete Deutsche Arbeitsfront (DAF), die im Oktober 1934 offiziell der NSDAP angeschlossen wurde.

Diese völlige Entmachtung der Opposition wurde damals keineswegs nur negativ gesehen, da einige Maßnahmen auf breitere Zustimmung stießen. So wurde der 1. Mai, was die Gewerkschaften zuvor erfolglos gefordert hatten, ab 1934 gesetzlicher Feiertag, allerdings nicht ohne 
ideologischen Bezug; denn der Tag wurde als „Tag der nationalen Arbeit“ bezeichnet. 

Dasselbe galt für die Leistungen einer Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront, deren Gründung auf einer Sondertagung am 27. November 1933 beschlossen wurde. Offizielles Ziel der Freizeitorganisation "Kraft durch Freude" (KdF) war „die Schaffung der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft und die Vervollkommnung und Veredelung des deutschen Menschen“. So wurde der Betriebssport in die neue Organisation integriert, die auch eine Reihe von Freizeitmöglichkeiten vor Ort anbot, wobei die körperliche Ertüchtigung im Vordergrund stand.

Der größte und beliebteste KdF-Geschäftsbereichs war jedoch die Organisation von Ausflügen und Reisen, so auch mit vier Kreuzfahrtschiffen, von denen die Wilhelm Gustloff aufgrund ihres späteren Schicksals bei der Evakuierung Ostpreußens besonders bekannt wurde.

Allerdings konnten einige der angekündigten und begonnenen großen Projekte in diesem Bereich aufgrund des Krieges nicht realisiert werden wie der KdF-Wagen, also der Vorläufer des späteren Volkswagens, und das Seebad Prora auf Rügen.
 
Diese durch Kreuzfahrten, versprochenen Rügen-Urlaub und preiswerte Autos versüßten gesetzlichen Eingriffe in die industriellen Beziehungen wurden am 26. Februar 1935 mit dem „Gesetz über die Einführung eines Arbeitsbuches“ abgeschlossen, „um die zweckentsprechende Verteilung der Arbeitskräfte in der deutschen Wirtschaft zu gewährleisten“. Dadurch wurde praktisch die freie Wahl des Arbeitsplatzes abschafft. Gleichzeitig erfolgte eine Kontrolle bei Neueinstellungen, die nur mit einem gültigen Arbeitsbuch möglich waren, sodass beispielsweise in anderen Betrieben aus politischen Gründen Entlassene, Untergetauchte oder später vor allem Juden ein legaler Zugang zum Arbeitsmarkt versperrt war.




                                     Betriebsordnung der BWK (Quelle: Förderverein)


Diese Vorschriften wurden zwangsläufig in allen deutschen Unternehmen umgesetzt, so auch bei der Bremer Woll-Kämmerei mit einer neuen Betriebsordnung, die am 10. Oktober 1934 in Kraft trat.

Gleich am Anfang wurden darin die Kernbegriffe der „neuen“ betrieblichen Ordnung in einem nach dem Führerprinzip organisierten nationalen Deutschland auch in der BWK vorgestellt. So hieß es: „Im Betrieb arbeiten der Führer des Betriebes und die Gefolgschaft (Arbeiter und Angestellte) gemeinsam zur Förderung der Betriebszwecke und zum gemeinen Nutzen von Volk und Staat. Der Führer hat für das Wohl der Gefolgschaft zu sorgen. Die Gefolgschaft hat ihm die in der Betriebsgemeinschaft begründete Treue zu halten.“

Die Rechte der Beschäftigten waren begrenzt; denn per Anordnung des Betriebsführers mussten sie auch andere Arbeiten ausführen als bei der Einstellung vereinbart waren (§ 3), Arbeitsverhältnisse konnten unter Einhaltung einer Frist von nur einer Woche (§ 4) und etwa bei „nationaler Unzuverlässigkeit, bewiesen durch böswillige Äußerungen und Handlungen wider Volk und Staat (§ 5) sogar fristlos beendet werden.

Der Betriebsführer konnte auch Mehrarbeit zur festgeschriebenen 48-Stunden-Woche „anordnen (§ 9). Dabei waren für Arbeiter drei Schichten von 6 bis 14, von 14 bis 22 und von 22 bis 6 Uhr vorgesehen.



Die Welt in neuer Sprache


Mit diesen Gesetzen wurde auch ein neues Vokabular in die Betriebe und das gesamte Wirtschaftsleben eingeführt. Man konnte daher an der Sprache, die jemand benutzte, erkennen, ob er der „neuen“ Ordnung erfreut folgte, sich bereits angepasst hatte oder ihr gegenüber noch Vorbehalte besaß.

Das galt unmittelbar für die Begriffe Betriebsführer und Gefolgschaft sowie aufgewertete und neu interpretierte Begriffe vor allem aus dem Militär wie Ehre, Treue und Kameradschaft, die man weder in der klassischen Wirtschaftssprache der Medien und Hochschulen finden konnte noch unter den Arbeitern, die den marxistischen Parteien nahestanden. Die Begriffe waren daher ein ähnliches Erkennungssymbol und eine Anerkennungsgeste wie der Hitlergruß.

Aber offensichtlich sollte über die Sprache und die Gesetze auch das Denken der Betriebsangehörigen verändert werden. Man wollte weder Mitarbeiter, die im Sinne einer Marktwirtschaft nach einem guten Arbeitsplatz für sich Ausschau hielten und auch zu einem Betriebswechsel bereit waren, noch Mitarbeiter, die in Arbeitskämpfen gegen die Kapitalisten möglichst hohe Löhne erstreiten wollten.

Die Gefolgschaft sollte vielmehr treu zu ihrem Betrieb stehen, für die Ehre Deutschlands arbeiten und in den Kameraden keine Konkurrenten sehen. Das waren Prinzipien, die teilweise vom Management und den Eigentümern positiv gesehen wurden, soweit sie nicht die Einschränkungen bei der Verteilung des Gewinns betrafen, die später eingeführt wurden.


Die gesellschaftlichen Veränderungen erfolgten jedoch nicht ausschließlich über gesetzliche Vorschriften, die eine Reihe von Neuregelungen vornahmen und neue Begriffe in das Alltagsleben einführten. Symbole, Gesten und Begriffe veränderten das gesamte öffentliche Leben. Sie hatten dabei eine doppelte Funktion, indem sie einerseits ein ständiges Treuebekenntnis zum NS-Staat und seinem Führer lieferten, das damit mehr und mehr zur einer Selbstverständlichkeit des Alltagslebens wurde.

Andererseits verbanden sich mit den Symbolen und Begriffen jedoch Verbindungen zur NS-Ideologie, die damit als angebliches Wissen das Bewusstsein der Deutschen prägte.


Besonders auffallend war dabei der Hitlergruß, der nach er Machtergreifung verbindlich vorgeschrieben war und von jedem „Volksgenossen“ als ein tagtäglich wiederholtes aktives Bekenntnis zum Nationalsozialismus und zum Führerstaat erwartet wurde.

Aber es gab auch subtilere Formen der Beeinflussung, vor allem im Bereich der Terminologie, die vom Reichspropagandaministerium über sogenannte Sprachregelungen vorgegeben wurden. Dazu gehörte eine besondere Sprache des Nationalsozialismus, die auf eine mentale Verankerung seiner Leitgedanken zielte.

Als wichtiger Teil diente dabei die Verwendung von Begriffen aus dem Bereich Technik und Wissenschaften, um so von deren Image zu profitieren und die Ideologie als wissenschaftlich fundiert erscheinen zu lassen. Die Begriffe kamen dabei etwa aus der Elektrotechnik wie Gleichschaltung und Anschluss.


Ideologisch wichtiger waren allerdings die Bezüge zu einer nicht mehr ganz aktuellen Rassentheorie in der Biologie und vor allem der Anwendung in der Tierzucht, wo man sich bei Begriffen wie Arterhaltung, entartet oder reinrassig bediente. Mit diesen sachlich klingenden Begriffen konnten so eklatante Verstöße gegen die Menschenrechte benannt werden, ohne dass der inhumane Charakter der gemeinten Maßnahmen durch die üblichen Assoziationen der Wörter deutlich wurde. Man sprach eben nicht von der Vernichtung oder Ermordung der Juden, sondern von der „Endlösung“ der Judenfrage oder der „Reinhaltung der arischen Rasse“.

Um die angebliche Einzigartigkeit des „neuen“ Deutschlands herauszustellen, waren Superlative in der reglementierten Sprache sehr beliebt. Die Leistungen von Führer und Partei wollte man nicht oder kaum mit denen gewöhnlicher Menschen auf eine Stufe stellen; denn sie galten als „einmalig“, „einzig“, „gigantisch“ oder „historisch“. Ein Beispiel hierfür ist die Anrede Hitlers als „Größter Feldherr aller Zeiten“ durch einen deutschen Generalfeldmarschall, woraus Spötter später das Akronym „Gröfaz“ machten.

Damit ist auch die Vorliebe des NS-Sprache für Abkürzungen angesprochen, die sich vor allem auf die zahlreichen Teilorganisationen der NS-Bewegung beziehen. Einige wie die SA und SS wurden sogar praktisch nur mit der Abkürzung benannt.

Das dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen wurden so diese Organisationen als bereits bekannte und vertraute Institution behandelt, die es nicht weiter zu hinterfragen galt.


Das war zum anderen durchaus von Vorteil, da sich die Organisationen häufig sehr weit von ihren Ursprüngen entfernt hatten, die noch in den vollständigen Namen wie Sturmabteilung für SA und Schutzstaffel für SS erkennbar waren. So wurde die SA ursprünglich als Saalschutz gegründet, während die SS Versammlungen vor Gruppen politischer Gegner mit Gewalt abschirmte bzw. gegnerische Veranstaltungen massiv behindern sollte. Es handelte sich also um Bezeichnungen für Aufgaben, die nach der Machtergreifung überflüssig waren, woran die mächtig gewordenen Organisationen allerdings offensichtlich mit ihren Namen nicht gern erinnert werden wollten.

Vielmehr kämpften sie in dem Zuständigkeits- und Machtwirrwarr sowohl zwischen der Partei und staatlichen Stellen als auch zwischen verschiedenen Teilorganisationen der Partei um Einfluss. Die NS-Diktatur kennzeichnet so ein ständiges Machtgerangel, in dem letztlich der „Führer“ entscheiden musste. Man spricht daher von einer NS-Polykratie

Da sich der Nationalsozialmus als besondere Weltanschauung mit einem ausgeprägten Führerkult verstand, lagen sprachliche Anleihen im sakralen Bereich nahe. Das galt vor allem für die Überhöhung des Führers und des „ewigen“ Deutschen Reiches. Um das herauszustellen, wurden sprachliche Rituale vor allem aus der katholische Liturgie mit einem „Zwiegespräch“ zwischen Führerreden und Sieg-Heil-Rufen der Massen sowie der Heiligenverehrung mit ihren Reliquien.

Neben der Sprache waren Fahnen als Symbole ein wichtiges Instrument in der Darstellung der Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit. Dabei erinnerte vieles an eine Kombinationen von militärischen Paraden und katholischen Prozessionen. Wichtige visuelle Reize sollten dabei durch Fahnen ausgelöst werden, die neben dem Hakenkreuz die Aufschrift „Deutschland erwache!“ trugen, womit auf die gemeinte Funktion dieser Fahnenaufmärsche hingewiesen wurde.


Für die NS-Anhänger waren die Fahnen jedoch nicht nur Aufmerksamkeit erregende Stoffflächen, sondern fast heilige Symbole, die erst geweiht werden mussten. Bei diesem Fahnenkult, der sich eng an religiöse Traditionen anlehnte, wurde das neue Fahnentuch mit der „Blutfahne“ berührt, die angeblich während des Hitlerputsches am 9. November 1923 in München beim Marsch auf die Feldherrnhalle vorausgetragen worden war und damals mit Blut der sechzehn getöteten Putschisten getränkt worden sein soll. Durch diese Fahnenweihe sollten die Kräfte der Märtyrer der Bewegung auf die Fahne übertragen werden.



Die Wahrheit zwischen den Zeilen



Die zeitgenössischen Darstellungen der BWK muss man stets vor diesem sprachlich-symbolischen Hintergrund lesen. Es geht nicht nur 
darum, Negatives fortzulassen und Positives herauszustellen, wie es in jedem autoritären Regime an der Tagesordnung ist. Diese verzerrte Schilderung der Realität findet selbstverständlich auch statt. Aber gleichzeitig wird versucht, die NS-Weltanschauung zu vermitteln, wie die vorliegenden Texte zeigen. Das gilt für drei Schilderungen der BWK in den Jahren 1934/5 und die im Prinzip sachlichen Darstellungen der Jahresabschlüsse zwischen 1933 und 1944 in der Wirtschaftspresse und den Geschäftsberichten des Unternehmens.

Obwohl in der damaligen Zeit börsennotierte Unternehmen nur wenige Informationen veröffentlichen mussten, wird sichtbar, dass sich die BWK während der NS-Zeit und vor allem seit dem Kriegsbeginn auch in den üblichen Gesprächen mit Journalisten der Wirtschaftspresse mit zusätzlichen Hintergrundinformationen sehr zurückhielt. Es wurden keine Angaben über die Menge der produzierten Kammzüge und die Zahl der Mitarbeiter mehr gemacht. Stattdessen bestanden die ohnehin sehr kurzen Ausführungen des Vorstands in den Geschäftsberichten zu mehr als der Hälfte aus Aufzählungen der besonderen sozialen Leistungen, und zwar vor allem um die Auswirkungen des Krieges auf die Versorgung der Mitarbeiter und ihrer Familien zu gewährleisten und den Kontakt zu den Mitarbeitern an der Front aufrechtzuerhalten.




Die Jubelfeier zum 50. Geburtstag im „neuen“ Deutschland


Diese neue Form der Unternehmenspräsentation und Berichterstattung konnte man erstmals im Jahr 1934 beobachten, in dem ein ganz besonderes Ereignis in der Geschichte der BWK gefeiert wurde. Der 50. Geburtstag der AG musste in einer "neuen" Ordnung begangen werden, die nur Positives hören und sehen wollte, während sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die BWK gerade durch die NS-Politik deutlich verschlechtert hatten.


So musste sich das zum "Betriebsführer" gewandelte Management mit einer Reihe von Restriktionen herumschlagen. Dazu zählten Devisenbeschränkungen der neuen Reichsregierung, die im Juli und August zu einer Kurzarbeit von nur 24 Wochenstunden führte. Auch war man trotzdem aufgrund einer Faserstoffverordnung zu mindestens 36 Wochenstunden gezwungen. Und die Eingriffe in den Markt gingen sogar noch weiter, da die BWK die Bearbeitung von Kunstspinnfasern aufnehmen musste, für die es praktisch keine Nachfrage gab.

Alle die Sorgen und Probleme mit der Hitler-Regierung schienen jedoch bei einem Großereignis vergessen zu sein, das die Weser-Zeitung unter der Überschrift „Die größte Wollkämmerei der Welt“ als „Jubelfeier“ in Blumenthal geschildert hat.


Festlich geschmückt, mit unzähligen grünen Girlanden an der Decke und den Wänden, die große Halle der „Bremer Wollkämmerei“ in Blumenthal, die heute nicht wie an den sonstigen Werktagen der Arbeit dient, sondern als Festsaal für die große, an die 4000 Köpfe zählende Gefolgschaft zur Feier des 50jährigen Bestehens des Unternehmens hergerichtet ist. Gerade reicht die riesige Halle aus, um die Tausende der Festgemeinde aufzunehmen. In der Mitte der Längswand ist eine Ehrentribüne, geschmückt mit den Wahrzeichen des neuen Deutschland, aufgestellt. Davor viele Reihen Stühle für die Ehrengäste und die Altgedienten der Männer und Frauen, die in dem zurückliegenden halben Jahrhundert in Arbeit und Ehren auf dem Werk grau geworden sind. Auf einer Tafel davor die zahlreichen Ehrengeschenke für die Jubilare, die in immer steigender Zahl alljährlich im Oktober eine verdiente Ehrung erfahren und heute an diesem Ehrentage des Unternehmens, verdientermaßen mit im Vordergrund des Gedenkens stehen."


                                   Jubiläumsveranstaltung (Quelle: BWK-Ausstellung 2014)



Der NS-Charakter der Veranstaltung, der sich zunächst noch hinter den "Wahrzeichen des neuen Deutschland" versteckt, womit Hakenkeuze gemeint sein dürften, wird anschließend durch den Aufmarsch von NS-Organisationen überdeutlich. So fährt der Bericht fort:

"Die Angehörigen der Standarte 29 haben in der Mitte der weiten Halle Aufstellung genommen. Der Musikzug leitet den Festtag mit schwungvollen Marschweisen ein. Unter ihren Klängen marschiert eine Kolonne des NS Freiwilligen Arbeitsdienstes ein, die auf besonderen Wunsch an der heutigen Feier ihres Werkes teilnimmt. Dann folgen die Abordnungen mit den Werksfahnen, die auf der Ehrenbühne einen Halbkreis bilden und mit dem leuchtenden Rot ihrer vielen Fahnen dem festlichen Aussehen der Halle einen wirkungsvollen Hintergrund verleihen.“

Nach dieser Schilderung des Versammlungsraums und der damals üblichen Einleitungszeremonie, durch die entsprechend der impliziten Polykratie Unterschiede zwischen Staat, Partei und Unternehmen verwischt wurden, ging der Autor ganz kurz auf die 
Rede des Direktors Jung ein, um sich dann wieder auf die schon sehr eingeübt erscheinenden Riten zu konzentrieren, die ganz und gar die schwierige Lage des Unternehmens aufgrund der Regierungspolitik ausblendeten und vor allem Loyalität zeigten. 

So „schenkte die Bremer Wollkämmerei allen ihren männlichen Arbeitern einen Festanzug der Deutschen Arbeitsfront, der zu Ehren des Tages zum ersten Male von der gesamten Gefolgschaft angelegt ist“. Aber auch die Frauen gingen nicht leer aus, denn sie mussten sich nicht über eine Einheitsuniform freuen, sondern erhielten „statt dessen zu diesem Tag ein Geldgeschenk“, durften also shoppen gehen, soweit das damals schon oder nach den Goldenen Zwanzigern noch möglich war. 

Der Direktor scheint sich in seiner Rede weniger mit der aktuellen Situation, sondern der Größe seines Unternehmens beschäftigt zu haben. Dafür stehen seine Hinweise auf dessen Kapazität, die dem "Schurergebnis von vierzehn Millionen Schafen oder viermal der Menge, die Deutschlands Schafzucht jährlich ergibt“, entsprach.

Am Ende der Rede stand die offenbar bereits üblich gewordene Formel, mit der die „Zuversicht und der Glaube an einen neuen Aufstieg der deutschen Wirtschaft“ ausgedrückt werden sollte. Es gab also ein "Sieg Heil“ „auf des Reiches Führer und Kanzler“, wie der Autor erläutert.

Anschließend sprachen noch ein Vertreter der Gefolgschaft, also der Mitarbeiter, der Aufsichtsratsvorsitzende, der vor allem den Direktor Richard Jung würdigte, der Regierungspräsident, der die Bedeutung der BWK unter ihrem „jetzigen Führer“ herausstellte, und der Gaupropagandaleiter, der die Wünsche der Gauleitung, der Deutschen Arbeitsfront und des Reichspropagandaministers überbrachte, also von Funktionsträgern, deren Zusammenhang mit dem Unternehmen sich aus heutiger Zeit nicht mehr nachvollziehen lässt und ebenfalls das Kompetenzwirrwarr der NS-Polykratie belegt.


Am Ende der Rednerliste stand der NSDAP-Kreisleiter, der das Blühen des Werkes als gleichbedeutend mit dem Blühen der damals noch selbständigen Gemeinde Blumenthal bezeichnete. Nach dem Abspielen des Badenweiler Marsches, der als Lieblingsmarsch des Führers in offiziellen Veranstaltungen und Aufmärschen sehr häufig zu hören war, also auch eine Art der Ehrerbietung darstellte, folgte die traditionelle Ehrung der Arbeitsjubilare, die als Geschenke goldene Uhren oder als Schwerbeschädigte „zur Erinnerung an diesen Festtag das Werk des Führers „Mein Kampf“ erhielten. 



                              Ehrung für 50 Jahre BWK (Quelle: BWK-Ausstellung 2014)


In der Dankesrede wurde dann von Vertretern der Mitarbeiter „für die gesamte Gefolgschaft“ mit „schlichten, von Herzen kommenden Worten“ auf ein „einiges Band der Kameradschaft mit dem Werk und seinem Führer“ hingewiesen, das als „Gelöbnis weiterer, unerschütterlicher Treue“ verstanden werden könne.
  
Während anschließend für die Werksangehörigen in der großen Halle eine „frohe Feier“ vorbereitet war, zu der eine Reihe von Künstlern verpflichtet worden war, ging im Direktionszimmer der Empfang der Gratulanten weiter, wo auch der bereits 1933 von der NS-Regierung ernannte Bremer Bürgermeister, die Glückwünsche aus der damaligen benachbarten Großstadt Bremen überbrachte.



Die BWK am 50. Geburtstag



                                     Lageplan der BWK 1934 (Quelle: Förderverein)


Etwas mehr über die damalige technische und wirtschaftliche Situation der BWK erfährt der Leser in einem noch erhaltenen Artikel, der damals in der Berliner Börsen-Zeitung und im Wirtschaftsdienst Hamburg erschienen ist. Danach besaß die BWK zu Beginn der NS-Ära mehr als 1.000 Kammstühle. Bei einer vollen Auslastung ihrer Kapazität konnte sie damit jährlich 50 Mio. kg Rohwolle und 6 Mio. kg Tuchwolle verarbeiten, wozu knapp 4.000 Mitarbeiter erforderlich waren.

Die Wollverarbeitung erfolgte vorwiegend in Lohnarbeit, wurde jedoch durch ein Geschäft auf eigene Rechnung ergänzt, um die Produktion im Jahresablauf zu verstetigen, da sonst aufgrund der Eigengesetzlichkeiten des Wollmarktes leicht für einige Wintermonate ein Stillstand des Betriebes eintreten würde.

Aber nicht nur auf dieses Geschäftsmodell war das Unternehmen stolz, sondern auch auf die Verbindung einer „glücklichen Lage“, also des Standortes unmittelbar an der schiffbaren Weser, mit modernen technischen Anlagen. Die umfassten 1934 neben vierstöckigen Lagergebäuden ausgedehnte helle und luftige Shedbauten für die Fabrikation, die Wollsortierung, Wäscherei, Krempelei, Vorstrecken, Kämmerei, Plätterei, Packerei und die Tuchwäsche. Diese durchorganisierten Maschinerie, in der die einzelnen Produktionsschritte optimal aufeinander abgestimmt waren, wurden durch moderne Kesselanlagen, Dampfmaschinen und Turbinen angetrieben. 


Viel Bewunderung fand damals auch der sorgfältige Transport der Rohwolle auf dem Werksgelände. Nachdem die Rohwollballen an dem 370 m langen Kai an der Weser unmittelbar von den Überseedampfern gelöscht wurden, sorgten Drahtseilbahnen und Gleisanlagen für einen zügigen Transport in die einzelnen Fabrikationsräume.

Außenstehende waren auch über die Verwertung des „Schmutzanteils“ im Wollwaschwasser erstaunt, aus denen Wollfett, Pottasche und stickstoffhaltiger Dünger gewonnen wurden, den man vor allem an die Baumwollplantagen in Nordamerika lieferte.

Teilweise erschien das Werk sogar eine fast autonome Produktionsstadt zu sein, da eine eigene Seifenfabrik die für das Waschen der Wolle erforderliche Seife selbst herstellte und eigene Werkstätten die Instandhaltung und teilweise auch die Konstruktion von Maschinen und Werkzeugen übernahmen.


Dieser Eindruck wurde noch durch die Größe des deutlich vom übrigen Blumenthal abgegrenzten Betriebsgeländes unterstützt, denn das Unternehmen hatte seinen schon riesig zu nennenden Grundbesitz während der Gründung in den ersten 50 Jahren seines Bestehens noch erweitert. Im Jubiläumsjahr umfasste er so über 600.000 qm, von denen allerdings nur 250.000 qm bebaut waren, und zwar 230.000 qm mit Fabrik- und 21.000 qm mit Wohngebäuden.


Eine auch politische Todesanzeige



Innerhalb ganz weniger Jahre war es den Nationalsozialisten gelungen, wie diese Schilderung des Jubiläums zeigt, 
das Denken und vor allem auch das Sprechen zu verändern. Grundlage dafür waren neben den Wählern die ständig aktiven Mitglieder, die durch Aufmärsche bei allen Veranstaltungen präsent waren.

Vor diesem Hintergrund einer totalitären Gesellschaft verdient eine kleine Todesanzeige einen ganz besonderen Hinweis, deren Text man kaum beachten würde, wenn sie vor 1933 erschienen wäre. Sie gilt dem langjährigen BWK-Vorstandsvorsitzenden Richard Jung, der das Blumenthaler Unternehmen wie nur wenige andere geprägt haben dürfte und daher Ehrenbürger Blumenthals wurde.


                                         Nachruf im Geschäftsbericht 1936



In dieser Anzeige zu seinem Tod am 9. September 1936, die im Geschäftsbericht 1936 abgedruckt ist, wird zwar von dem Datum her mehr als deutlich, wann sie geschrieben wurde. Nur wurde sie in einer Sprache abgefasst, die in keiner Weise an die „neue“ Ordnung im Betrieb erinnert, wie sie etwa im der Betriebsordnung so deutlich geworden ist. Begriffe der NS-Sprache fehlen völlig, ganz gleich ob es sich um das nationalsozialistische Führerprinzip handelt, das letzthin auch immer dem deutschen Führer huldigt oder um die Position eines wiedererstarkten Deutschlands nach der „Schmach von Versailles“ handelt .Stattdessen wird das „große Können“ und „fachkundige Wissen“ des Verstorbenen hervorgehoben, der damit das Unternehmen zielbewusst geleitet hat.

Diese fachliche Laudatio wird durch eine sehr menschliche Würdigung ergänzt, wenn der Tod eines lieben und wertvollen Mitarbeiters bedauert wird, in dem man einen „schlichten und aufrechten“ Menschen ehrt und keinen mit Superlativen ausgestatteten Führer.

Der Kontext, in dem dieser Text veröffentlicht wurde, lassen diese wenigen Zeilen, die in anderen Zeiten bestenfalls durch die Bescheidenheit bei einem führenden Unternehmenslenker auffallen würden, wie ein letzter individueller Protest gegen das schablonenhafte Wortgeklingel eines totalitären Regimes erscheinen.



Das Geschäft der BWK in der reglementierten NS-Wirtschaft



Für ein Unternehmen wie die BWK, das seine Rohstoffe fast ausschließlich aus dem Ausland bezog, einen großen Teil der hergestellten Kammzüge exportierte und Vorprodukte für die Bekleidungsindustrie, also Konsumgüter, herstellte, verschlechterte die NS-Wirtschaftspolitik die Rahmenbedingungen.  

     Die Entwicklung des deutschen Bruttosozialproduktes 1926 - 1939 (Quelle wikipedia)

Die BWK konnte daher nur sehr bedingt vom Aufschwung der Weltwirtschaft und auch dem deutschen Wirtschaftswachstum profitieren, wie es sich nach der Überwindung der Weltwirtschaftskrise beim Bruttosozialprodukt und beim Rückgang der Arbeitslosigkeit zeigte.

           Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in Deutschland 1933 -39 (Quelle: wikipedia)




Diese Belastungen für das BWK-Geschäft wurden rasch nach der Machtübernahme Hitlers deutlch, als die wirtschaftspolitischen Prioritäten rasch in Richtung Autarkie und zulasten der Konsumgüterindustrien gesetzt wurden. Damit waren im „neuen“ Deutschland, wie es damals in der Sprache des NS-Regimes hieß, ganz erhebliche wirtschaftliche Verwerfungen verbunden. Das zeigt sich auch im Außenhandel mit Kammzügen, also einem für die BWK ganz wichtigen Umsatzbereich. Hier brach die Ausfuhr zwischen 1933 und 1935 auf weniger als ein Viertel ein, während die Einfuhr nur leicht rückläufig war.


Deutscher Außenhandel mit Kammzügen in 1.000 kg

Außenhandel
1933
1935
Einfuhr
19.242
14.353
Ausfuhr
4.054
967
Saldo
-15.185
-13.386
Quelle: Volkswirt vom 27.4. 1934, 30.4.1936


Dadurch sank die Kammzugproduktion der BWK 1935 um fast 20% von 14,92 auf 12,03 Mio. kg. Die Produktion gewaschener Wolle stieg hingegen. Dabei handelte es sich vor allem um deutsche Schafwolle, die sich häufig nicht für die Kammgarnerzeugung eignete, sondern als Streichgarn Verwendung finden musste. Dadurch reduzierte sich die Gesamtmenge der verarbeiteten Wolle nur um 8% von 35,45 auf 32,61 Mio. kg.  

Damit war die Verarbeitungskapazität von 50 Mio. kg allerdings nur zu zwei Dritteln ausgelastet, sodass im letzten Quartal 1935 die Arbeitszeit auf 25 Stunden pro Woche reduziert werden musste. Dafür sahen die Bremer Nachrichten damals auch eine Ursache im starken Zuwachs der Importe, der 1935 um ein Drittel über der Menge von 1934 lag. Ein Ausgleich durch einen vermehrten Zellstoffeinsatz war nur in „bescheidenem Umfang“ möglich, da der Einsatz von Mischgarn bei der Webgarnherstellern in dieser Zeit noch auf erhebliche „Schwierigkeiten gestoßen“ ist.


Die Eingriffe in den Markt zielten jedoch nicht nur auf eine größere Autarkie beim Einsatz von Rohstoffen, sondern betrafen auch den Finanzmarkt, der vor allem der Staatsfinanzierung dienen sollte. Deshalb wurden durch das Gesetz über die Gewinnverteilung bei Kapitalgesellschaften (Anleihestockgesetz) vom 4. 12. 1934 die Dividenden-Ausschüttungsmöglichkeiten von Aktiengesellschaften begrenzt. 

Nach dieser Vorschrift durften Aktiengesellschaften nur Dividenden in Höhe von 6 % bzw. 8 % ausschütten, falls sie zuvor mehr gezahlt hatten. Höhere auszuschüttende Gewinne mussten für einen gewissen Zeitraum bei der Reichsbank-Tochter Deutsche Goldiskontbank in Anleihen des Reiches oder in ähnlich gesicherten Papieren öffentlicher Körperschaften angelegt werden. Damit wurde also ein Kapitalstock angelegt, was zu dem verkürzten Namen für dieses „Gesetz über die Gewinnverteilung von Kapitalgesellschaften“ geführt hat.


Erklärtes Ziel war es dabei, die Binnenfinanzierung der Unternehmen zu stärken. Als praktische Folge verloren jedoch Aktien ihre Attraktivität, sodass es kaum zu Neuemissionen kam und der Kapitalmarkt nur noch selten für Kapitalerhöhungen benutzt wurde.

Während der private Sektor dadurch wenig frisches Kapital erhielt, stieg zwischen 1933 und 1938 der Wert der notierten öffentlichen Anleihen von 10,8 auf 24,1 Mrd. RM, die vor allem in Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen flossen.





Die Probleme der BWK – systemkonform verkauft



Die fortschreitende Etablierung der neuen Ordnung in der BWK lässt sich an einem Artikel der Bremer Zeitung ablesen, der Ende 1935 erschienen ist. Darin wird relativ breit über einige soziale Änderungen in den ersten drei Jahren unter dem NS-System berichtet. Dabei werden "
gemeinnützigen Zwecke, wie Bereitstellung eines Pensionsfonds, Zahlung besonderer Unterstützungen, Gewährung von Jahresgeschenken und sonstiger Beihilfen zur Anschaffung von Winterbedarf, Bezahlung von Feiertagen und Zuwendungen an Kurzarbeiter" herausgestellt, für die "jährlich viele Hunderttausende von Mark" aufgewendet werden. Das bleibt jedoch der einzige Hinweis auf die Größenordnung der Maßnahmen, deren tatsächlicher Umfang damit im Dunklen bleibt.

Ganz entsprechend verhält sich die Berichterstattung zu den Änderungen bei der Mitarbeiterstruktur. Hier wurden "ältere Gefolgschaftsmitglieder pensioniert, Sortiererinnen gegen Sortierer ausgetauscht, und jüngere, ausscheidende Arbeitskräfte, die andere Arbeitsplätze erhielten, durch ältere ersetzt."  Dabei werden sogar Zahlen genannt, und zwar wurden 1933 249, 1934 120 und 1935 bis zum Erscheinungsdatum des Artikel 291 Männer eingestellt. Über die Zahl der entlassenen älteren Männer und vor allem der Frauen, die von den Nationalsozialisten vor allem als Hausfrauen und Mütter geschätzt wurden, wird hingegen kein Wort verloren, sodass auch keine Aussage über die gesamte Beschäftigungssituation des Unternehmens möglich ist.

Allerdings wird eingeräumt, dass die BWK seit Juni 1933 zur Kurzarbeit "gezwungen" war. Als Grund nennt der Autor die Faserstoffverordnung vom Juli 1934, ohne diese Maßnahme jedoch als Teil der staatlichen Rohstoffkontigentierung und Arbeitsmarktlenkung zu erläutern. Mit einer Begrenzung der Arbeitszeit auf höchstens 36 Stunden wöchentlich wurde nicht nur der Bedarf an Rohstoffen zwangsweise begrenzt, sondern auch die Attraktivität der Arbeitsplätze in der Textilindustrie reduziert. Diese "Auskämmaktion", wie sie in der Wirtschaftsbürokratie genannt wurde, konnte gleichzeitig die Arbeitskräfte in der gewünschten Weise aus der Textil- in die Rüstungsindustrie umlenken. (Rauh-Kühne u.a., S. 209)

Um die Auswirkungen der Verordnung auf die Belegschaft "wenigstens zu einem Teil zu mildern" hat das Unternehmen "je nach der Zahl der Familienangehörigen Beihilfen gezahlt."

Insgesamt wird die Kammzugproduktion als "Arbeitsschlacht" gesehen, in der sich die Betriebsleitung darum bemüht, dass die Mitarbeiter ihre Aufgaben "mit besonderer Hingabe" erfüllen. Als Mittel dienten dazu weniger höhere Löhne oder an den Unternehmenserfolg gekoppelte Boni, sondern diverse soziale Ausgaben, die von der Verschönerung der Arbeitsplätze bis zu Beihilfen für Familienangehörige reichten und sogar in ihrer Höhe kommuniziert wurden, allerdings ohne sie in Reaktion etwa zur Gehaltssumme zu setzen, sodass eine sachliche Beurteilung möglich wäre.

Ohnehin werden die Arbeitsplätze bei der BWK nicht nach dem Lohnniveau oder den Ausstiegsmöglichkeiten beurteilt. Stattdessen wird ein angeblich verändertes Verhältnis in einer Arbeitsstätte geschildert, die "der deutsche Arbeiter" "sein eigen nennt und "die nicht nur seine Leistung fordert, sondern sie auch ehrt." Die entstehende "Freude an der Leistung" soll so "wieder Einzug gehalten haben in die Herzen der deutschen Menschen."

Ganz entsprechend berichtet daher ein Obermeister über die Eigenschaften seiner Leute, bei denen neben Fleiß und Gewissenhaftigkeit auch Kameradschaftsgeist gehört

 

Eine Bilanz ohne fungible Sachwerte



In seinem Artikel über die Bilanz des Geschäftsjahres 1934 macht die Wirtschaftszeitung „Der Deutsche Volkswirt“ erstmals auf eine „flüssigere Bilanz“ der BWK aufmerksam, wie er eine deutliche Änderung der Bilanzstruktur bereits während der ersten Jahre der NS-Zeit kennzeichnet. Wie die folgende Tabelle für den Zeitraum 1933-8 belegt, sind in den acht Jahren bei einer nur wenig veränderten Bilanzsumme die Sachwertpositionen, also Anlagevermögen und Vorräte, deutlich gefallen, während die Liquidität unter Schwankungen kräftig gestiegen ist und im Jahr 1938 sogar über dem Wert der Vorräte lag.

Diese harten Bilanzwahrheiten, die sich mit Begriffen wie "verflüssigt" oder "liquide" noch positiv klingen, dürften im konkreten Fall einen anderen Hintergrund haben. Sie sind schlicht und einfach Folgen der NS-Wirtschaftspolitik, die aufgrund der Knappheit an ausländischen Rohstoffen keine Lagerhaltung ermöglichte, wie sie die BWK im ersten Weltkrieg nutzen hat. Auch ist das Anlagevermögen immer ein Indikator für die Zukunftserwartungen des Management, das neue Anlagen möglichst rechtzeitig zur Verfügung haben will, wenn es mit einer steigenden Nachfrage rechnet. Nach den Bilanzzahlen hat es diese Erwartungen nich gegeben. Die Zahlen besagen daher mehr über die tatsächliche Beurteilung der wirtschaftlichen Situation des Unternehmens als alle Erklärungen in Festreden.

Ausgewählte Bilanzdaten in der NS-Vorkriegszeit 1933-38 in 1.000 RM



1933
1938

Anlagen insgesamt

10.070
7.200
Vorräte
6.833
2.948
Kasse, Bank
1.226
6.197
Bilanzsumme in Mio. RM
25,2
22.2
1) einschließlich Wechsel, die 1932 einzeln mit 55.000 RM aufgeführt sind.
Quelle: Volkswirt vom 30.4.1936 und 9.6.1939



 Dieser Rückgang der Sachwerte ist jedoch nur ein zentraler Trend in den Jahren vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. 

Eine weitere größere Veränderung gab es auch mit einer Tendenz vom Kamm- zum Streichgarn, weshalb die Rohwolle in Blumenthal nur gewaschen wurde. So wurde die stark gestiegene Waschwollerzeugung 1937 auf 7,9 Mio. kg und damit einen neuen Rekordwert geschätzt, während die Kammzugproduktion auf 10, 4 Mio. kg und damit um 2 Mio. kg gegenüber dem Vorjahr gefallen ist. Gleichzeitig betrug in diesem Jahr die Bearbeitung von Zellwollzug bereits 4,2 Mio. kg, sodass die gesamte Kammzugproduktion bei 14,5 Mio. kg lag und damit sogar um 8% gegenüber dem Vorjahr gestiegen sein dürfte. Daher konnte die BWK wieder 3.750 Mitarbeiter gegenüber nur 3.200 im Vorjahr beschäftigen (Volkswirt vom 8.7.1938 ). 

Man wird also kaum von der Hand weisen können, dass die BWK anders als am Vorabend des ersten Weltkrieges trotz der Kriegserwartungen wegen der begrenzten Devisen für nichtmilitärische Rohstoffe keine Lagerbestände aufbauen konnte, sondern ihre Liquidität halten musste, da sie anscheinend nicht wieder in großem Stil Staatsanleihen kaufen wollte, die später abgeschrieben werden mussten.

Das hat sich dann nach den beiden ersten Kriegsjahren geändert, als mit dem größten Teil des Kassenbestandes Rohstoffe aus der Kriegsbeute gekauft wurden. 1942 sanken dann im Verlaufe des Krieges die Lagerbestände und die BWK musste sich nolens volens durch Staatsanleihen an der Finanzierung des Krieges beteiligen.

Die Reduktion der Vorräte während der NS-Wirtschaftspolitik 1933-1938 in Mio. RM



1933
1938
Vorräte insgesamt
6,83
2,95
Rohstoffe
2,83
1,61
Halbfabrikate
0,70
0,06
Fertigerzeugnisse
3,31
1,29
Quelle: Volkswirt vom 30.4. 1936 und 9.6.1939



Die Nothelfer Zellstoff und Bast



1935 begannen die Jahre, in denen die BWK auf die Schwierigkeiten bei der Wollbeschaffung durch die Verwendung anderer Fasern reagiert hat. So spricht der Geschäftsbericht 1936 von „asiatischen und anderen exotischen Wollen“, deren Verarbeitung bei der BWK eine größere Rolle spiele, „als dies je bei uns der Fall gewesen ist“.

Wichtiger im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung war jedoch die erstmalige Verwendung von Zellwolle. Dabei handelt es sich um Zellulose, die durch den Einsatz geeigneter Chemikalien aus Sägespänen gewonnen wird.


Wegen ihrer nicht unumstrittenen Produkteigenschaften wurde Zellwolle lange Zeit nur in Deutschland in nennenswerten Umfang produziert, und das vor allem aufgrund von Vorgaben durch die NS-Wirtschaftspolitik.

So begann die industrielle Produktion in Deutschland zwar bereits 1916, also am Ende des ersten Weltkrieges als viele Rohstoffe knapp wurden. Aber erst seit der Eingliederung der Köln-Rottweil AG in den Großkonzern I.G. Farben, die 1926 erfolgte, wurde "Vistra" intensiv beworben und in enger Absprache mit den Kunden weiterentwickelt. So gelang 1929 die Herstellung eines Wollstra genannten Mischgarns aus Wolle und Vistra sowie 1931 die Rationalisierung der Verarbeitung durch das Vistra-Spinnbandverfahren, an der auch die BWK beteiligt war.

Dennoch blieben die verkauften Mengen relativ gering, da die Kunden die geringe Qualität der im Ersten Weltkrieg produzierten Stapelfaser noch in guter Erinnerung hatten. So lag die Jahresproduktion 1928 bei 400 t und stieg 1929 auf 1.600 t. Das änderte sich erst durch eine mit administrativen Maßnahmen abgesicherte Wirtschaftspolitik. So wurde 1936 in Wolfen mit Mitteln des Deutschen Reiches für die Herstellung von Vistra das damals größte Faserwerk der Welt errichtet und der Science-Fiction-Autor Hans Dominik schrieb im Rahmen einer Werbekampagne ein Buch mit dem Titel „Vistra, das weiße Gold Deutschlands“.

Damit erhielt die Produktwerbung auch eine neue Ausrichtung, da sich die Vistrafaser in besonderer Weise zur Legitimation der 
nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik eignete, wenn man seit 1934 an die deutschen Frauen appellierte, nicht nur etwas Vorzügliches zu kaufen, wie es bereits zuvor hieß, sondern gleichzeitig auch in Deutschland Arbeit zu schaffen und deutschen Arbeitern Lohn und Brot zu geben. (Bluma) Mit Produkten aus Vistra konnte man also etwas für das eigene Aussehen tun und gleichzeitig seinen Patriotismus ausdrücken, da man half, Devisen zu sparen und Deutschland von Ernteausfällen und Spekulation unabhängig zu machen.

Nach und nach gingen daher auch die Produktionszahlen in die Höhe. Wurden so 1932 erst 2.500 t erzeugt, waren es 1939 bereits 212.800 t. (Höschle, S.103)

Besonders forciert wurde die Produktion 1935, als ein Beimischungszwang bei Kammgarn beschlossen wurde, sodass im 1. Halbjahr 1938 bereits 96% aller Kammgarne gemischt waren. (Höschle, S. 121) Auch wurden in diesem Jahr vier regionale Zellwollwerke mit Staatsmitteln gegründet, darunter auch die Thüringische Zellwolle AG in Schwarza. 
(Höschle, S. 101)

Gleichzeitig versuchte man, mögliche Widerstände auf der Seite der Nachfrage abzubauen. So setzte man auf das gute Image des Begriffs „Wolle“ und sprach jetzt nicht mehr von „Kunstspinnfaser“, sondern von „Zellwolle“. Damit das neue Image nicht gleich Kratzer erhielt, verhängte man eine Art Pressezensur zur Zellwolle, sodass kaum Aussagen über die Qualität möglich waren. Sie dürfte jedoch signifikante Schwächen gegenüber den Naturfasern besessen haben (Höschle, S. 124 ). 

Nachteile waren Auflöseerscheinungen bei Wasser, sodass, wie in ausländischen Medien berichtet wurde, es ein „erbärmlicher Anblick“ war, wenn deutsche Männer mit zellwollegemischten Hüten in Regenschauer kamen, die Elastizität und die Waschfestigkeit, was eine geringe Lebensdauer für die Kleidungstücke bedeutete.

Diese Schwächen wurden jedoch im Zuge technischer Weiterentwicklungen kaum beseitigt. Vielmehr trat 1937/8 durch Umstellung von ausländischem Fichten- auf deutsches Buchenholz ein weiterer Qualitätsverlust ein. (Höschle, S. 125). Daher war die Beimengung bei Wolle auf maximal 30% begrenzt. (Höschle, S. 128)

Noch größere Qualitätsunterschiede traten allerdings bei Bastfasern auf, für die in Deutschland vor allem Hanf und Flachs eingesetzt wurden. 


Während die Zellwoll- bzw. Vistraverarbeitung 1938 bei der BWK ca. 9,5 kg fast die Menge an Kammzügen aus Wolle erreicht hat, liegen für die Kriegsjahre und die Bastverarbeitung gar keine Zahlen vor. Es wird nur berichtet, dass 1941 die „Gesamtherstellung des Werkes die des Vorjahres übertraf“ und „der Ausbau der Bastfaser-Abteilung, der bei steigender Verwendung heimischer Rohstoffe energisch gefördert wird“, hieran „hervorragenden Anteil“ hatte. (Berliner Börsen-Zeitung vom 31.5.1942)

An dem politischen Versuch, die Schafwolle aus den klassischen Wollexportländern zu substituieren, wirkte die BWK jedoch nicht nur durch die Aufarbeitung dieser Ersatzstoffe in Blumenthal mit. Ein zweiter Weg führte über Beteiligungen an Aktiengesellschaften, die speziell unter dem Einfluss der Reichsregierung für die Entwicklung und Produktion von Ersatzfasern gegründet worden waren.

Hierzu zählte ab 1936 die Thüringische Zellwolle, also eine Gesellschaft, die „zum Zwecke der Rohstoffversorgung der deutsche Wirtschaft gegründet“ wurde und an der sich die BWK erstmals 1936 mit 150.000 RM beteiligte.

Ein weitere Aufstockung der Beteiligungen erfolgte 1939 mit einem Zugang von 333.000 RM durch eine Aufstockung der Beteiligung bei der Thüringischen Zellwolle und ein Neuengagement bei der Wolle und Tierhaare AG (Wotirag), die im August 1939 von über 800 interessierten Firmen und Einzelkaufleuten mit einem Grundkapital von 10 Mio. RM gegründet wurde. Geschäftszweck war die „Förderung, Vermehrung und Verbesserung der Produktion von Wolle und anderen Tierhaaren in dafür geeigneten und interessierten Ländern sowie die Förderung ihrer Einfuhr“. Praktisch bedeutete das die Förderung der Schafzucht in der Türkei und in Bulgarien beispielsweise durch die Ausbildung der Schäfer in Schafzuchtmethoden.


         5.000-RM-Aktie der Wotirag von 1941


1941 erhöhte die BWK ihr Beteiligungsportfolio nochmals in politisch gewünschter Weise, als man Anteile der Bastfaser GmbH in Fehrbellin, die Hanf und Flachs verarbeitete, und an dem reprivatisierten Norddeutschen Lloyd kaufte. Dadurch wuchsen die Beteiligungen auf einen Bilanzwert von 958.000 RM, der 1944, nachdem die Beteiligung an der Thüringischen Zellwolle nochmals aufgestockt wurde, weiter auf 1.072.000 RM anwuchs.


Volks- und Kriegsgemeinschaft statt betriebswirtschaftlicher Fakten


                               
Der Nationalsozialismus und später auch der Krieg haben nicht nur die Arbeit und das Leben in der Kämmerei deutlich geprägt. Sie haben auch Eingang in üblicherweise besonders sachliche Darstellungen wie die Geschäftsberichte einer AG gefunden. Das begann bereits mit der im Februar 1934 geschriebenen Darstellung des Jahres 1933, als über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen „unserer“ Regierung berichtet wurde, und im Jahr drauf die Mitarbeiter erstmals als „Gefolgschaft“ bezeichnet wurden.

Der Einfluss erstreckte sich allerdings nicht nur auf die Sprache, sondern auch auf die Schwerpunkte in der Berichterstattung und, wenn auch vom Volumen her gesehen in eher überschaubarer Weise, auf die Mittelverwendung. Ein regelmäßiger Bestandteil der jährlichen Berichterstattung waren bei der BWK ihre freiwilligen Sozialleistungen, die vor allem Jubilaren zugute kamen. Ab 1935 erhielten von der Kurzarbeit besonders hart Betroffene Sonderzulagen und Weihnachtsgeschenke, 1936 auch Darlehen für die Errichtung von Eigenheimen.

Eine neue Akzentuierung erhielten diese Maßnahmen im Geschäftsbericht 1937, als neben der „Erhaltung jahrzehntealter, bewährter Wohlfahrseinrichtungen“ „die Pflege des Gemeinschaftsgedankens, die soziale Mütterfürsorge, die finanzielle und siedlungspolitische Begünstigung kinderreicher Familien, die sportliche Schulung und die kulturelle Förderung der Gefolgschaftsmitglieder“ in den Vordergrund gerückt wurde
.

Auf Einzelmaßnahmen geht der Bericht für das folgende Jahr ein, der medizinische Bäder in der eigenen Badeanstalt, Erholungsaufenthalte in Heimen der Deutschen Arbeitsfront (DAF), einen größeren Frauensaal als Ruheraum und ein „warmes und reichliches Mittagessen zu einem verbilligten Preis“ für ledige „Gefolgschaftsmitglieder“ und verbilligte Karten für Theater- und Konzertvorführungen nennt, die von der DAF-Unterorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) veranstaltet wurden.


                                     Sportplatzbau (Quelle: BWK-Ausstellung 2014)


Eine besondere Erwähnung findet eine Anfang 1938 gegründete Kameradschaftskasse, die zur Hälfte aus „Betriebsmitteln unterhalten“ wurde, und dazu diente, Sportgeräte, Sportkleidung, Uniformen der Werkschar und Werkfrauengruppe sowie Instrumente der Musikzüge zu erwerben. In diesem Jahr taucht auch erstmals eine „Wohlfahrtsstiftung“ mit einem Betrag von 400.000 RM unter den Aufwendungen in der Gewinn-und-Verlust-Rechnung auf, der damit fast die Höhe des jetzt „Gefolgschafts-Unterstützungsfonds“ genannten alten „Angestellten- und Arbeiterunterstützungsfonds“ erreicht, der nach deutlichen Rückgängen in den Vorjahren 1938 zusätzlich aufgestockt wurde. Laut Geschäftsbericht wurde diese neue Sozialeinrichtung geschaffen, „um die Betriebstreue unserer Gefolgschaftsmitglieder zu belohnen und ihnen im Alter und in Notfällen eine Unterstützung gewähren zu können.“ (Volkswirt vom 9.6.1939)

1939 wurden die Ausgaben für die freiwilligen Sozialleistungen, die trotz der speziellen Jubiläumsausgaben 1934 bei 528.000 RM gelegen hatten, auf 760.000 RM erhöht.


                             Betriebssport in Aktion (Quelle: BWK-Ausstellung 2014)
Ab 1941 erfuhren diese Leistungen sogar im Geschäftsbericht eine ungewöhnlich stark emotionale Darstellung und mussten damit fehlende Zahlen etwa zu den tatsächlichen Erfolgen bei den Bastfasern oder zur Profitabilität unter Kriegsbedingungen ganz generell vergessen lassen. So erfolgte die soziale Arbeit „zum Wohle unserer Gefolgschaft“ in „verständnisvoller Zusammenarbeit“ mit den Dienststellen der Deutschen Arbeitsfront, „soweit die Kriegsverhältnisse es erlaubten“, und „die Gesundheit und Leistungsfähigkeit unserer Gefolgschaft im Kriege“ lag uns, wie das Management im Mai 1942 schrieb, „besonders am Herzen“.


Kaum erwähnt: "Fremdarbeiter" und Kriegsgefangene in der Produktion



         Titelseite des Buches "Hungern für Hitler"

In diesem Bericht wurde auch erstmals zwischen zwei Gruppen von Beschäftigten unterschieden, den deutschen Gefolgschaftsmitgliedern und den ausländischen Arbeitskräften. Dabei glaubte die Geschäftsführung jedem deutschen Mitarbeiter besondern Dank zu schulden, weil er durch die verstärkte Einstellung der Ausländer, „die im Betrieb angelernt und in ihrer Arbeitsleistung gefördert werden mussten“, vor Aufgaben gestellt wurde, „die seinen vollen Einsatz verlangten“.

Bei den „Maßnahmen zur Erhaltung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit“ wurde zwischen beiden Gruppen deutlich unterschieden, denn während man bei den im Betrieb arbeitenden Ausländer von „strenger Gesundheitskontrolle“ sprach, ging es bei den Gefolgschaftsmitgliedern um Zuschüsse zur Beschaffung von Kartoffeln und Zahlungen zur Unterstützung kinderreicher Familien.

Über die damalige Bedeutung der "Fremdarbeiter" erfährt man jedoch nichts. Nach Untersuchungen, die von Christoph U. Schminck-Gustavus veröffentlicht wurden, lag de Zahl der beschäftigten Ausländer in der BWK von 1941 bis zum Kriegsende immer über 1000. Ihr Anteil an der Belegschaft ist bis Kriegsende auf 45 % insgesamt und sogar 56 % bei den Frauen gestiegen. 


Der größte Teil dieser "modernen Arbeitsskalven", wie sie Leohold bezeichnet, stammte aus Polen und der Sowjetunion. Unter ihnen waren teilweise Kinder von 14 Jahren, "die in ihren Heimatländern regelrecht eingefangen und zwangsverpflichtet worden waren". Neben diesen im Ausland mit teilweise fragwürdigen Mitteln rekrutierten "Fremdarbeitern" haben in den Jahren 1941 und 1944 auch kleinere Gruppen von französischen bzw italienischen Kriegsgefangenen bei der BWK gearbeitet. (Leohold, S. 37 ) 


Die Gemeinschaft mit den "zu den Waffen gerufenen Gefolgschaftsmitgliedern"


Wichtiger als die für die Aufrechterhaltung der Produktion so notwendigen ausländischen Arbeitskräfte war der BWK in ihren Geschäftsberichten der Kontakt zu den Mitarbeitern, die weit jenseits der deutschen Grenzen Krieg führten. So wurden die Verbindungen zu den Werksangehörigen an der Front herausgestellt, zu denen „durch Zusendung von Liebesgaben und Berichten über das Geschehen im Betriebe .. eine lebendige Verbindung zwischen Front und Heimat aufrechterhalten“ wurde. Daher bezeichnete der Geschäftsbericht „die Dankbarkeit und Verbundenheit, die in den Antworten unserer Soldaten immer wieder zum Ausdruck kommt“, als „eine besondere Freude“.

Der Geschäftsbericht 1942 reduzierte die betriebswirtschaftliche Betrachtung dann noch weiter, wenn er die Geschäftsaussichten davon abhängig erklärte, „die der totale Krieg uns stellen wird“. Daher ging das Management in den wenigen Zeilen seines Kommentars zum Geschäftsabschluss ausführlicher auf die Verleihung eines Gaudiploms für hervorragende Leistungen“ als auf „kriegsbedingten Unkostensteigerungen“ ein. Erstmals wurde auch von Erziehungsbeihilfen für die Kinder gefallener Gefolgschaftsmitglieder berichtet.

Die objektive Situation des Unternehmens lässt sich damit immer weniger aus den wenigen publizierten Bilanzzahlen ablesen, die zwar 1944 einen gestiegenen Gewinn ausweisen, den man angesichts der Rahmenbedingungen wohl nur als Bilanzwunder bezeichnen kann, für die außerordentliche Erträge aus Buchgewinnen „bei der Begebung von Steuergutscheinen und Schatzanweisungen“ genannt wurden.


Belastbarer dürften da die Schlussfolgerungen sein, die man aus einigen anderen Daten zur Situation des Unternehmens und der Rahmenbedingungen ziehen kann. So sanken die freiwilligen Sozialleistungen 1943 auf 567.000 RM und 460.000 RM im Jahr 1944, während die Zahl der im Geschäftsbericht aufgeführten Gefallenen 1943 25 betrug nach 22 in Jahr 1942, 16 im Jahr 1941 und drei im Jahr 1940. 



             Nachruf auf die gefallenen BWK-Mitarbeiter im Geschäfstbericht 1941



Im März 1945, als die beiden Vorstandsmitglieder den Geschäftsbericht unterschrieben, wurde hingegen keine Zahl für 1944 genannt. Vielmehr stellte der Geschäftsbericht kurz vor der deutschen Kapitulation, als große Teile Deutschlands in Schutt und Asche lagen, die BWK weiterhin dank außerordentlicher Erträge bilanziell als florierendes Unternehmen dar. Die Bilanzierungsvorschriften haben es offensichtlich ermöglicht und über die volle Wahrheit musste wie nach dem ersten Weltkrieg erst die Nachkriegszeit Aufschluss geben. Das galt nicht zuletzt auch für die Bewertung der Zwangsarbeit und der Abschreibungen, zu der die Bilanzen geschwiegen haben.



Quellen:

Bähr, Johannes und Banken, Ralf (Hg), Das Europa der Diktatur / Wirtschaftssteuerung durch Recht im Nationalsozialismus: Studien zur Entwicklung des Wirtschaftsrechts im Interventionsstaat, Frankfurt am Main 2006.

Bluma, Lars, Stoffgeschichte: Zellwolle, Mode und Modernität 1920 – 1945, in: Intelligente Verbindungen. Band 1 (2011).

Bremer Woll-Kämmerei. Blumenthal (Unterweser), Betriebsordnung der Bremer Woll-Kämmerei. Blumenthal (Unterweser) vom 1.10. 1934.

Götze, Kurt, Kunstseide und Zellwolle nach dem Viskose-Verfahren, Berlin 1940.

Höschle, Gerd, Die deutsche Textilindustrie zwischen 1933 und 1939, Stuttgart 2004. 

Leohold, Volkmar, Die Kämmeristen: Arbeitsleben auf der Bremer Woll-Kämmerei, Hamburg 1986.

NN, 50 Jahre Bremer Wollkämmerei. Jubelfeier in Blumenthal, in: Weser-Zeitung vom 16.10.1934.

NN, Bremer Woll-Kämmerei 1884 – 1934, in: Wirtschaftsdienst Hamburg vom 19.10.1934.

NN, Ein Besuch bei der Bremer Wollkämmerei, in: Bremer Zeitung vom 3.11.1935.

NN, Chronik der Bremer Woll-Kämmerei, in: BLV vom 20.4.1983.

Rauh-Kühne, Cornelia und Ruck, Michael (Hg.), Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie : Baden und Württemberg 1930-1952, München 1993.

Schiemann, Heinrich, Ein Jahrhundert BWK 1883 – 1983. Eine Epoche der Woll- und Chemiefaserverarbeitung in Bremen, Bremen.

Schminck-Gustavus, Christoph U. (Hg.), Hungern für Hitler. Erinnerungen polnischen Zwangsarbeiter im Deutschen Reich 1940 - 1945. Reinbek bei Hamburg 1984.



Anhänge:





Ereignisse, die die Arbeit der BWK zwischen 1933 -1945 geprägt haben

(nationale Rahmenbedingungen sind kursiv gekennzeichnet)



Zeitpunkt
Ereignis
20. 07. 32 Preußenschlag“, durch den die SPD-geführte preußische Regierung durch einen Reichskommissar ersetzt, der u.a. den Landkreis Blumenthal auflöst und dessen SPD-Landrat absetzt
06.11.32 Letzte freie Wahl vor 1945 in Deutschland
30.01.33 „Machtergreifung“ Hitlers
24.03.33 „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz)
1933 „Wende zum Besseren“ dank höherer Kammzugpreise, das Beteiligungsunternehmen Wilhelmsburger Wollkämmerei nimmt seinen Betrieb auf
20.01.34 „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“
30.01.34 „Gesetz über den Neuaufbau des Reichs“, wodurch die Länder „gleichgeschaltet“ werden
19.07.34
Erlass der „Faserstoffverordnung“
01.10.34
Neue Betriebsordnung der BWK (u.a. Abschaffung des Betriebsrats und der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat)
15.10.34
Feier zum 50. Jahrestag der Kammzugherstellung bei der BWK
04. 12. 34 Anleihestockgesetz, das die Ausschüttung von Dividenden begrenzt
1934
Vorübergehende Reduzierung der Arbeitszeit auf 24 Stunden pro Woche wegen Wollmangels, Beginn der Verarbeitung von „Kunstspinnfasern“
1935
Fast gänzlicher Ausfall der Auslandskundschaft, weiterhin reduzierte Wochenarbeitszeit aus Mangel an Rohwolle wegen fehlender Devisen, kaum Nachfrage nach Zellstoffprodukten
1.- 12. 8. 1936
Olympische Sommerspiele in Berlin, die der Welt das NS-System positiv vorstellten, so u.a durch den Film „Olympia“ von Leni Riefenstahl
09.09.36
Tod des Vorstandsvorsitzenden Richard Jung
1936
Entlassung einer größeren Zahl von Mitarbeiten wegen Arbeitsmangels
1937
Herstellung von zwei Filmen durch Jonny Seubert über einen kompletten Arbeitstag im Unternehmen und einen Betriebsausflug nach Goslar
1937
Deutlicher Anstieg der Zellstoffbearbeitung und Einstellung von 550 neuen Mitarbeitern
11.-12.3.1938 „Anschluss“ Österreichs und am 1. und 2. 10. des des Sudetenlandes
1938
Anstieg der Produktion um ein Drittel und stabile Beschäftigung aufgrund niedriger Rohwollpreise und weiterhin steigender Zellstoffbearbeitung
01.09. 39 Deutscher Angriff auf Polen und Beginn des Zweiten Weltkrieges
01.11. 39 Anschluss Blumenthals an Bremen durch die „Vierte Verordnung über den Neuaufbau des Reichs“
1939
Drosselung der Produktion auf behördliche Anordnung, Einrichtung einer Wohlfahrtskasse, Rückgang er Beschäftigung durch „freiwilligen Abgang“
Ab 1939
Nutzung von Teilen der Werksanlagen für die Kriegsproduktion
1940
Erhebliche Produktionseinschränkung (-28%) wegen der schwierigen Rohstoffversorgung
22.06.41
Angriff auf die Sowjetunion
1941
Anstieg der Produktion durch Aufbau einer Bastfaserabteilung
1942
Weitere „planmäßige“ Einschränkung der Produktion
31.1. u. 2.2. 1943
Kapitulation der deutschen Truppen in Stalingrad
18.02.43 Sportpalastrede zum „totalen“ Krieg
1943 Produktionsanpassung aufgrund „kriegswirtschaftlicher Anforderungen“
06.06.44 Landung der Alliierten in der Normandie
1944
Steigerung der Produktion durch „planmäßige Umstellungen“
08.05.45
Bedingungslose Kapitulation Deutschlands
 

Zeitungsartikel über die Jubiläumsfeier 1934 


Einen guten Einblick in die frühe NS-Zeit in der BWK gibt eine Schilderung der Feier zum 50. Firmenjubiläum, in der man das im Artikel oben angesprochene Vokabular sowie die neuen Rituale wiederfindet:


50 Jahre Bremer Wollkämmerei.

Jubelfeier in Blumenthal. Die größte Wollkämmerei der Welt


Festlich geschmückt, mit unzähligen grünen Girlanden an der Decke und den Wänden, die große Halle der „Bremer Wollkämmerei“ in Blumenthal, die heute nicht wie an den sonstigen Werktagen der Arbeit dient, sondern als Festsaal für die große, an die 4000 Köpfe zählende Gefolgschaft zur Feier des 50jährigen Bestehens des Unternehmens hergerichtet ist. Gerade reicht die riesige Halle aus, um die Tausende der Festgemeinde aufzunehmen. In der Mitte der Längswand ist eine Ehrentribüne, geschmückt mit den Wahrzeichen des neuen Deutschland, aufgestellt. Davor viele Reihen Stühle für die Ehrengäste und die Altgedienten der Männer und Frauen, die in dem zurückliegenden halben Jahrhundert in Arbeit und Ehren auf dem Werk grau geworden sind. Auf einer Tafel davor die zahlreichen Ehrengeschenke für die Jubilare, in immer steigender Zahl alljährlich im Oktober eine verdiente Ehrung erfahren und heute an diesem Ehrentage des Unternehmens, verdientermaßen mit im Vordergrund des Gedenkens stehen. Die Angehörigen der Standarte 29 haben in der Mitte der weiten Halle Aufstellung genommen. Der Musikzug leitet den Festtag mit schwungvollen Marschweisen ein. Unter ihren Klängen marschiert eine Kolonne des NS Freiwilligen Arbeitsdienstes ein, die auf besonderen Wunsch an der heutigen Feier ihres Werkes teilnimmt. Dann folgen die Abordnungen mit den Werksfahnen, die auf der Ehrenbühne einen Halbkreis bilden und mit dem leuchtenden Rot ihrer vielen Fahnen dem festlichen Aussehen der Halle einen wirkungsvollen Hintergrund verleihen.

Schnell sind alle Festteilnehmer untergebracht. Der Generaldirektor Friedrich Jung tritt vor den Lautsprecher und begrüßt Gefolgschaft und die zahlreichen Ehrengäste aus den Kreisen der Behörden und der Wirtschaft. Die schlichte, dem Ernst der Zeit angepasste Werkfeier soll, losgelöst von der Arbeit des Alltags, Rückschau, Umschau und Ausschau sein. In Anerkennung der Verdienste der Gefolgschaft schenkte die Bremer Wollkämmerei allen ihren männlichen Arbeitern einen Festanzug der Deutschen Arbeitsfront, der zu Ehren des Tages zum ersten Male von der gesamten Gefolgschaft angelegt ist. Die Frauen haben statt dessen zu diesem Tag ein Geldgeschenk erhalten. Nach einem Hinweis auf das gute Einvernehmen, das zwischen Werk und Gefolgschaft, mit den Behörden, mit den Freunden aus der Wirtschaft in den zurückliegenden Jahren bestand, und nach einem geschichtlichen Rückblick auf den Werdegang der Bremer Wollkämmerei hörten die Arbeiter und Gäste mit Stolz von der Größe des jetzigen Unternehmens: 50 Millionen Kilogramm Wolle zu Kammzug, 6 Millionen Kilogramm für die Tuchfabrikation werden hier jährlich verarbeitet. Das entspricht dem Schurergebnis von vierzehn Millionen Schafen oder viermal der Menge, die Deutschlands Schafzucht jährlich ergibt! Nach einem herzlichen Dank an alle Mitarbeiter und Freunde des Werks brachte Generaldirektor Jung mit Worten der Zuversicht und des Glaubens an einen neuen Aufstieg der deutschen Wirtschaft ein „Sieg Heil“ auf des Reiches Führer und Kanzler aus.

Namens der Gefolgschaft brachte August Alde den Dank und die Wünsche aller anwesenden Festteilnehmer zum Ausdruck. Der Vorsitzende des Aufsichtsrates, Frhr. von Rössing, würdigte in einer längeren Rede die Verdienste des Generaldirektors Jung, der bereits seit seinem 23. Lebensjahr zum Werk gehöre und seit 1915 zum Segen des Werkes an seiner Spitze stehe. Die Grüße und Glückwünsche der preußischen Staatsregierung überbrachte Regierungspräsident Leister, Stade. Seine Rede schilderte die große Aufgabe, die dem Werk mit dem hohen Stand seiner Entwicklung zufalle: ist doch die Bremer Wollkämmerei nicht nur das größte Unternehmen seiner Art in Deutschland, sondern in der Welt überhaupt! Er schloss mit dem Wunsche, dass das Unternehmen unter der Leitung seines jetzigen Führers auch in der Zukunft weiter wertvolle Dienste an Volk und Vaterland leisten werde. Für den verhinderten Gauleiter Telschow ergriff Gaupropagandaleiter Schmonsees das Wort. Er überbrachte die Grüße und Wünsche der Gauleitung, des Leiters der Deutschen Arbeitsfront, Dr. Ley, und des Reichspropagandaministers, Dr. Goebbels.

Den Dank der Gemeinde Blumenthal an das Werk brachte der Kreisleiter Löffler in Worten herzlicher Anerkennung zum Ausdruck. Das Blühen des Werkes ist gleichbedeutend mit dem Blühen der Gemeinde; umgekehrt lasteten auch alle Sorgen des Betriebes auf der Gemeinde Blumenthal. Beide, Werk und Gemeinde, seien auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden. Dr. Jung als Vertreter der Industrie- und Handelskammer hob in seiner Glückwunschansprache hervor, dass die Bremer Wollkämmerei als größtes Wirtschaftsunternehmen des Kammerbezirks jederzeit der besonderen Förderung durch die Kammer sicher sein könne. Mit aufrichtiger Freude bringe die Industrie- und Handelskammer dem Unternehmen ihre Glückwünsche zum heutigen Tage dar.

Festlich erklingt der Badenweiler Marsch nach den Glückwünschen durch die Halle. Danach verliest der Führer des Werkes die Namen der 26 Arbeiter, die in den zurückliegenden Jahren durch Unfall im Betriebe den Tod fanden. Ihnen zu Ehren senken sich die Fahnen. Das Lied vom guten Kameraden unterbricht für Minuten die freudige Feststimmung. Dann folgt die alljährlich im Oktober übliche Ehrung der Arbeiterjubilare des Werkes. Zum ersten Male begehen zwei Mitarbeiter des Unternehmens das 50jährige Arbeitsjubiläum: Meister Müller und Nachseher Hünerberg werden durch ein besonderes Geschenk, das der Bedeutung dieses seltenen Tages im Leben eines Volksgenossen entspricht, geehrt. Die Reihe der 40jährigen Werksjubilare weist die stolze Zahl von achtzehn Mitarbeitern auf; sie erhalten eine goldene Uhr. 41 weitere Mitarbeiter haben dem Unternehmen 25 Jahre hindurch in Treue gedient. Die Schwerbeschädigten erhalten zur Erinnerung an diesen Festtag das Werk des Führers „Mein Kampf“. Werkmeister Oberländer spricht mit schlichten, von Herzen kommenden Worten den Dank der 61 Jubilare aus und bringt für die gesamte Gefolgschaft, die ein einiges Band der Kameradschaft mit dem Werk und seinem Führer verbinde, das Gelöbnis weiterer, unerschütterlicher Treue zum Ausdruck. Nach einem weiteren Vortrage des Musikzuges war sodann die Feierstunde beendet.

Am Nachmittag fand zunächst im Direktionszimmer des Werkes der Empfang der Gratulanten statt. Dann vereinte eine frohe Feier die Werksangehörigen in der großen Halle; eine Reihe von Künstlern war hierzu verpflichtet, um allen Mitarbeitern einige genussreiche und fröhliche Stunden zu bereiten. Am Nachmittag war auch der Reg-Bürgermeister Dr. Markert in Begleitung des Sachbearbeiters des Treuhänders der Arbeit Dr. Frick erschienen, um dem Unternehmen zum heutigen Ehrentage die Glückwünsche der Stadt Bremen zu überbringen.

Quelle: NN, 50 Jahre Bremer Wollkämmerei. Jubelfeier in Blumenthal, in: Weser-Zeitung vom 16.10.1934.



Anmerkung: Mein ganz besonderer Dank gilt daher auch hier der Deutschen Zentralbibliothek für Wirtschaftswissenschaften - Leibniz-Informationszentrum Wirtschaft, die im Rahmen eines Projektes der Deutschen Forschungsgemeinschaft historische Pressematerial des Hamburgischen Welt-Wirtschafts-Archivs (HWWA) und des Wirtschaftsarchivs des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (WIA/IfW) u.a. über die Bremer Wollkämmerei digitalisiert und über das Internet zugänglich gemacht hat. Die dort abrufbaren Auszügen aus den Geschäftsberichten der BWK sowie die dort vorhandenen Artikel der Wirtschaftspresse waren die zentrale Informationsgrundlage für diesen Blog-Artikel.

Ein weiterer Dank gilt dem Förderverein Kämmereimuseum und seinem Vorsitzenden, die die Betriebsordnung von 1934 und den Artikel in der Bremer Zeitung von 1935 zur Verfügung gestellt haben.

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