Freitag, 15. Mai 2015

neu: Wahl 2015: Blumenthal



Blumenthal am 10. Mai:


Der Streit um eine Handvoll straffälliger Jugendlicher verändert die politische Landschaft




                                                         Quelle: Landeswahlleiter
 

Blumenthal ist nicht Bremen. Das haben viele Bürgerinnen und Bürger dieses nördlichen Stadtteils bei den Bremer Wahlen am 10. Mai 2015 deutlich gemacht, als sie anders abgestimmten als ihre südlichen Mitbürger. Zwar gab es auch in der nördlichen Spitze des Bundeslandes an der Weser deutlichen Verluste der Koalitionsparteien. Sie fielen hier jedoch kräftiger aus. 


Vor allem hat allerdings eine Wählervereinigung profitiert, die im übrigen Bremen relativ wenig und in Deutschland insgesamt kaum bekannt ist. Dabei handelt es sich um die Bürger in Wut (BiW), die bereits bisher eine kleine Regionalpartei in der Stadt Bremerhaven und in Bremen-Nord waren, jetzt jedoch in Blumenthal als eine politischen Kraft aus der Wahl hervorgegangen sind.

Dort rangieren sie seit dem 10. Mai auf Platz 3 hinter der SPD und der CDU. 

Da die vom Programm her teilweise konkurrierende Alternative für Deutschland (AfD) keine Kandidaten zur Blumenthaler Beiratswahl aufgestellt hatte, konnten die Bürger in Wut bei dieser lokalen Entscheidung besonders gut abschneiden. So erreichten sie ca. 18 % der Stimmen im Stadtteil, und in den Ortsteilen Farge und Rekum stimmte jeder fünfte Wähler für die BiW, die vor allem von den Sozialdemokraten und dem SPD-Ortsamtsleiter zuvor als nicht wählbar diskreditiert wurden.

Verglichen mit den beiden anderen Nordbremer Stadtteilen und mit Bremen insgesamt weisen die Ergebnisse auf eine ausgeprägte räumliche Fixierung dieser Partei hin; denn in der übrigen Stadt haben die Wutbürger jetzt im Durchschnitt sogar einen geringfügig kleineren Wähleranteil als vor vier Jahren gewonnen. Damals musste die Bremer Partei allerdings noch nicht gegen eine national aufgestellte "Alternative" antreten,
 die sich in der Programmatik und im öffentlichen Auftreten nicht immer deutlich unterscheidet. 

Ein wichtiger Erfolgsfaktor für die BiW ist ihr erst in diesem Jahr eingetretenes Mitglied Fritjof Balz, wie sein überwältigend hoher Anteil an Personenstimmen zeigt, obwohl gerade er von den Gegnern besonders heftig als extrem rechter Flüchtlingsfeind attackiert wird.

Damit führt dieser personelle Aspekt des Wahlerfolgs eines Neulings zu den politischen Ursachen des veränderten Wahlverhaltens in Blumenthal.


Die lokale BiW ist in ihrer heutigen Form aus einer Facebookgruppe hervorgegangen, die Fritjof Balz Mitte Oktober 2014 als Reaktion auf eine Nacht- und-Nebel-Aktion der Bremer Verwaltung gegründet hat. Damals traten innerhalb weniger Tage über 2.600 Mitglieder dieser virtuellen Gruppe bei. Sie wollten damit gegen eine Geheimsitzung Blumenthaler Beiratsmitglieder protestieren, die vom Ortsamtsleiter und der Sozialsenatorin über die Einrichtung einer intensivpädagogischen Einrichtung für straffällige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in einem Wohngebiet zwischen Farge und Rekum informiert worden waren. Obwohl diese behördlichen Entscheidungen erhebliche Mängel aufweisen, wie sich inzwischen immer mehr herausgestellt hat, wurde weder den gewählten Beiratsmitgliedern noch den Bürgern die Zeit für eine sachliche Information und Beurteilung vor der praktischen Umsetzung der Maßnahme gewährt. 

Die Folgen dieses bürgerfeindlichen Verwaltungshandelns konnten anschließend an vielen Stellen aufgedeckt werden. Auch wurden sie durch die inzwischen eingestandenen Fehler beim Betrieb der Einrichtung deutlich. Die Verwaltung hatte sich für einen Träger entschieden, der nicht unumstritten ist, einen Standort gewählt, der dem ursprünglichen Trägerkonzept in keiner Weise entspricht, und sich damit auf ein Experiment eingelassen, dass ökonomisch teuer und fachlich fragwürdig ist.

Anstatt diese Mängel möglichst rasch zu beseitigen, haben die Behörden und die Parteien, die deren Leitung bestimmt haben, eine andere Strategie gewählt. Sie versuchen die Kritiker als "Rassisten" zu diskriminieren, als "braunen Haufen" zu beschimpfen und wollen mögliche gewählte BiW-Mandatsträger im Beirat isolieren.

Das Blumenthaler Wahlergebnis dürfte eine Reaktion der Wähler vor allem auf diese aktuelle politische Diskussion im Stadtteil sein. Das muss jedoch nicht ausschließen, dass auch andere Themen eingeflossen sind, auch wenn bisher im Beirat bei zahlreichen Abstimmungen ein Lager aus SPD und CDU bestand, dem der kleine und damit machtlose Rest von zwei Grünen und einer Linken gegenüberstand.





                                       Umstrittenes Wahlplakat der Bürger in Wut



Blumenthaler Allerlei: Die Legislaturperiode 2011 - 2015



Die Legislaturperiode 2011-5, also der Zeitraum, über den die Wählerinnen und Wähler am 10. Mai bei der Verteilung ihrer Stimmen ein Urteil fällen konnten, begann im Beirat recht spektakulär. Da die Blumenthaler Wähler neben einem Vertreter der Bürger in Wut auch ein NPD-Mitglied in ihren Beirat gewählt hatten, kamen sogar zahlreiche Medienvertreter zu diesem Ereignis. Einen weiteren Nationaldemokraten in einem Beirat gab es schließlich nur noch in Gröpelingen.

Die vor allem von Ortsamtsleiter (OAL) initiierte Vorbereitung auf diese Sitzung bestand in einer Änderung der Geschäftsordung, durch die Teile der Öffentlichkeit, sofern sie nicht in Blumenthal gemeldet war, ausgeschlossen und die Rechte der kleinen Parteien bzw. Einpersonenfraktionen eingeschränkt wurden.

Zu einer heftigen Kontroverse führte vor allem die vom OAL vorgenommene Sitzordnung, nach der die Beirätin der Linken neben dem NPD-Mitglied zu sitzen hatte. Diese gegenüber alle üblichen parlamentarischen Gepflogenheiten wurde von den meisten Beobachtern als ein Versuch gesehen, ein kritisches Beiratsmitglied zu sanktionieren.

In den nächsten Jahren enwickelte sich dann eine enge Verbindung zwischen dem OAL, seiner SPD-Fraktion und der CDU, denen die Repäsentanten der Grünen und Linken als relativ kleine Minderheit mit drei Stimmen entgegenstanden. In einer Frage, wie der Veranstaltung einer "Anschlusssause" auf der Bahrsplate, um damit die per Unterschrift des Führers im Jahre 1939 verordnete Angliederung Blumenthals an Bremen feierlich zu würdigen, kam es sogar zu einer noch weiter gefassten Mehrheit, sodass man von einer "Kastanienkoalition" sprechen konnte.


Skandale und "Sternstunden": Tanklager Farge, Videoüberwachung und Rekumer Str. 12


Neben einer Reihe anderer Themen hat sich der Beirat mehr oder weniger ausführlich mit drei großen Themen befasst, die auch außerhalb des Stadtteils in den Medien für Aufmerksamkeit gesorgt haben: der Umweltskandal des Tanklagers Farge, die Videoüberwachung eines Bolzplatzes auf der Bahrsplate und die Unterbringung von mehrfach straffällig gewordenen unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in einem Wohngebiet. 

Damit war Farge in der letzten Legislaturperiode gleich von zwei Problemen ganz besonders betroffen, die den Blumenthaler Beirat und die Öffentlichkeit intensiv beschäftigt haben. In beiden Fällen haben sich engagierte Bürgerinitiativen gebildet, die mit ihren Wünschen und Forderungen die Beiratsfraktionen konfrontiert haben.

In ihren Reaktionen erfolgten abweichende Positionierungen der Parteien. Im Falle des Tanklagers Farge, bei dem vor allem der grüne Umweltsenator Lohse mit seiner bürgerfernen Informationspolitik im Mittelpunkt der Kritik stand, haben sich die beiden großen Beiratsfraktionen von SPD und CDU zunächst für einen möglichst langen Fortbestand des Tanklagerbetriebs ausgesprochen, um Arbeitsplätze zu sichern. Das hat sich dann später nicht zuletzt unter dem Einfluss einer sehr aktiven Bürgerinitiative und von Sonderauswertungen des Krebsregisters deutlich geändert, sodass zum Schluss nicht nur die Linke für eine restlose Aufklärung der Kontaminationen und die Schließung des Tanklagers plädierte.

Eine teilweise abweichende Gruppierung der Parteien erfolgte bei der heftig umstrittenen Gründung einer intensivpädagogischen Einrichtung für straffällige unbegleitete minderjährige Flüchtlinge an der Rekumer Str. 12, also an der Grenze der beiden Ortsteile Farge und Rekum. Hier hatten der sozialdemoktische Ortsamtsleiter und die grüne Sozialsenatorin in einer Geheimsitzung den Beirat über diese Maßnahme informiert, ohne dass es – von späteren Absetzbewegungen vor allem der CDU einmal abgesehen – kritische Stimmen aus dem Beirat in der Öffentlichkeit gab.

Als Antwort auf diese Geheimniskrämerei um ein fragwürdiges Projekt, das keinen sozialplanerischen und sozialpädagogischen Kriterien standzuhalten scheint, aber vom OAL als "Sternstunde" für Blumenthal herausgestellt wurde, gründete Fritjof Balz aus Farge eine Facebookgruppe, die innerhalb weniger Tage 2.600 Mitglieder gewann. Damit hatte sich ein zunächst labiler Machtfaktor in Farge und Blumenthal gebildet, was zu einer heftigen Polarisierung in der politischen Diskussion des Stadttteils führte.

Jetzt hatten die Wähler am 10. Mai die Möglichkeit, auf das unterschiedliche Verhalten der Beiratsmitglieder und die Ankündigungen der neuen Kandidaten zu reagieren. Dabei hatten sie im politischen Spektrum als zusätzliche Optionen bei der Bürgerschaftswahl auch die AfD und bei der Beiratswahl auch die durch ihren neuen Spitzenmann deutlich geprägte Blumenthaler BiW, der "klare Kante" zeigte und von Vertretern der SPD, CDU und der Grünen heftig attackiert wurde.


Blumenthal ist nicht Bremen


Als am 10. Mai wurden in Bremen und damit auch in Blumenthal die Bürgerschaft für das gesamte Land und die Stadt sowie der Beirat vor Ort gewählt wurde, war das diesmal für die Blumenthaler ein besonders spannendes Ereignis. Man wollte schließlich wissen, wie die Wähler auf die harten Kontroversen in den letzten Monaten reagiert hatten. Andere waren ganz unmittelbar betroffen, da auch einige Blumenthaler auf den Listen für die Bürgerschaftswahlen auf aussichtsreichen Positionen standen. Hinzu kam bei drei Parteien ein erwarteter Kampf mit der 5-Klausel im Wahlgebiet Bremen. Dabei konzentrierte man sich in Blumenthal vor allem für das Abschneiden von AfD und BiW, da die FDP nur wenig auf sich aufmerksam machte.


Nach der Auszählung der Stimmen zeigte sich einmal mehr: Blumenthal ist nicht Bremen.


Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in der Stadt Bremen


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
32,6
39,3
-6,7
Grüne
15,8
22,6
-6,8
CDU
22,2
20,4
+1,8
Linke
9,9
5,8
+4,1
BiW
2,7
3,1
-0,4
FDP
6,7
2,3
+4,4
Piraten
1,4
1,9
-0,5
AfD
5,6
-
+5,6
PARTEI
1,9
-
+1,9
Tierschutz
1,2
-
+1,2



Damit haben die FDP und die AfD den Sprung über die 5 %-Hürde geschafft, die BiW im Bremer Wahlbereich hingegen nicht.


Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 im Stadtteil Blumenthal


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
36,8
44,0
-7,2
Grüne
7,1
14,1
-7,0
CDU
23,5
18,7
+4,8
Linke
6,4
4,6
+1,8
BiW
12,0
7,6
+4,4
FDP
3,8
1,4
+2,4
Piraten
1,3
1,6
-0,3
AfD
6,9
-
+6,9
PARTEI
1,1
-
+1,1
Tierschutz
1,1
-
+1,1


Wie ein Vergleich der Daten in den Tabellen zeigt, sind die Verluste für die beiden Bremer Koalitionspartner in Blumenthal mit 14,2 Prozentpunkten leicht höher als in der Stadt Bremen (13,5 Prozentpunkte), und das obwohl der Anteil der Grünen 2011 an der nördlichen Spitze Bremens deutlich unter dem Wert für die Gesamtstadt gelegen hat. Relativ gesehen ist damit der Verlust bei ihnen sogar noch einschneidender. 

Dieser Stimmeneinbruch hat den Anteil der Grünen praktisch halbiert, wodurch sie jetzt kaum stärker sind als AfD und die Linke und nur noch gut die Hälfte des Anteils der Wutbürger erreichen. Das Blumenthaler Wahlergebnis ähnelt daher für die Grünen einem Abstieg in eine untere Liga.

Aufgrund ihrer absoluten Größe sind die Verluste der SPD relativ geringer. So bleibt sie in Blumenthal weiterhin deutlich stärker als in der Stadt Bremen. Das muss allerdings nicht zwangsläufig auf eine Parteiarbeit zurückgeführt werden, die in den Augen vieler Wähler mit einem hohen Stimmenanteil gewürdigt werden musste. 

Eine einfache Erklärung lässt sich auch aus den sozialräumlichen Strukturen der Verteilung der Wähl einzelner Parteien ableiten. Hier hat sich gezeigt, dass die SPD in Bremen eine Partei der WiN-Gebiete ist. Wenn vor einigen Monaten das alte Zentrum Blumenthals zum flankierenden WiN-Gebiet erklärt wurde, weist das sehr deutlich auf soziale Lage im Stadtteil hin. Blumenthal besitzt weder ausgesprochene bürgerliche oder alternative Wohngebiete, in denen die SPD-Anteile traditionell niedrig sind. Dagegen ist der große Ortsteil Lüssum-Bockhorn bereits seit Langem ebenfalls als WiN-Gebiet ausgewiesen. 

In einem Stadtteil, der so stark durch sozial benachteiligte Gebiete geprägt ist, hinter denen immer die Lebenssituationen von konkreten Haushalten stehen, ist ein hoher SPD damit praktisch eine wahlgeografische Gesetzmäßigkeit. Sie weist auf diese eher negative Lage hin und ergibt sich nicht aus einer besonderen Leistung der lokalen Politiker. 




Wahlplakat der SPD für Bremen-Nord


Auch der übrige Bremer Norden wählt anders

Blumenthal unterscheidet sich mit seinen überdurchschnittlich hohen Verlusten für die Bremer Koalitionsparteien und einem fast kometenhaften Aufstieg der Bürger in Wut nicht nur deutlicher als sonst von der gesamten Stadt Bremen, sondern auch von den beiden anderen Stadtteilen nördlich der Lesum.

Auch hier hatten bereits 2011 die Wutbürger ihre Hochburgen und konnten ebenfalls in die Beiräte einziehen. Dieses Gewicht besitzen sie jetzt jedoch nicht mehr, wenn man die Stimmen für die Bürgerschaft betrachtet. Sowohl in Burglesum als auch in Vegesack war die Alternative für Deutschland der größte Gewinner, während die BiW offenbar unter dem Einfluss dieser Konkurrenz in diesen beiden Stadtteilen sogar leicht verloren haben. Dabei geht es allerdings nur um Bruchteile von Prozenten. Damit wird jedoch deutlich, dass Blumenthal mit seinem hohen BiW-Anteil eine Besonderheit in Bremen darstellt, die näher untersucht werden muss.



                          Zumindest grafisch sehr ähnliche Plakate von AfD und BiW auf dem Blumenthaler Marktplatz


Auch wenn sich das Gewicht dieser Parteien in Burgleum und Vegesack ähnelt, gibt es aufgrund der sozialökonomischen Struktur der beiden Stadtteile Unterschiede. Die werden allerdings in den Stadtteilergebnissen nur bedingt sichtbar, weil jeweils Quartiere und Ortsteile zusammengeschlossen werden, die relativ heterogen sind.

In Burglesum gilt das beispielsweise für die parkähnlichen Wohnlagen an der Lesum mit den Quartieren in der Nähe der Stahlwerke und mit den WiN-Gebieten in Burgdamm und Gramke.

Eine Folge dieser sozialräumlichen Gegensätze im Stadtteil sind die gleichzeitigen relativ hohen Anteile für die FDP und die Linke, obwohl sonst die FDP vor allem in bürgerlichen Vierteln ihre Hochburgen besitzt und die Linke in WiN-Gebieten und alternativen Quartieren in der Nähe der Innenstadt stark ist. Hier sorgt die statistische Durchschnittsbildung für dieses ungewöhnliche Zusammenfallen. 


Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in Burglesum
Partei
2015
2011
Differenz
SPD
34,5
42,0
-7,5
Grüne
11,7
17,3
-5,6
CDU
24,7
22,9
+1,8
Linke
7,1
4,2
+2,9
BiW
4,0
4,4
-0,4
FDP
7,3
2,3
+5,0
Piraten
1,2
1,5
-0,3
AfD
7,2
-
+7,2
PARTEI
1,2
-
+1,2
Tierschutz
1,3
-
+1,3

Aus diesen sozialräumlichen Gegensätzen lassen sich auch die Gewinner erklären; denn es sind hinter der AfD sowohl die FDP mit 5,0 Prozentpunkten als auch die Linke mit 2,9 Prozentpunkten. Die CDU kam hingegen nur auf einen Zugewinn, der kaum über dem Anteil der erstmals angetreten Kleinparteien DIE PARTEI und der Tierschützer liegt (1,8 Prozentpunkte).


Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in Vegesack


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
36,1
42,0
-5,9
Grüne
10,9
17,6
-6,7
CDU
23,6
19,8
+3,8
Linke
6,5
5,0
+1,5
BiW
5,7
6,2
-0,5
FDP
5,8
2,1
+3,7
Piraten
1,5
1,6
-0,1
AfD
7,1
-
+7,1
PARTEI
1,5
-
+1,5
Tierschutz
1,4
-
+1,4


Der dritte Stadtteil, Vegesack, weist neben seinem mittelzentralen Kern mit der privaten Jacobs University eine weitere zentralörtliche Einrichtung auf, die allerdings als Campus-Hochschule in Grohn konzipiert ist. Daneben liegen zwischen Vegesack und Blumental Ortsteile, die früher vor allem industriell genutzt wurden, und zwar durch Betriebe wie den Bremer Vulkan und angrenzende Wohngebiete für Arbeiter und Angestellten. Mit Grohn im Osten kommt noch durch den Bau des verdichteten Hochhauskomplexes der Grohner Düne ein WiN-Gebiet hinzu. Davon hebt sich als relativ problemfreier Ortsteil Schönebeck mit seinem Wasserschloss im Auetal ab.

Die größten Wahlgewinner waren hier die AfD, die CDU und die FDP.


Der Stadtteil Blumenthal: zwei große Verlierer und ein Hauptsieger


Die Bremer Koalitionsparteien SPD und Grüne haben in Blumenthal jeweils etwa 7 Prozentpunkte veroren. Nennenswerte Gewinner sind die AfD mit 6,9 die CDU mit 4,7, die BiW mit 4,4 und die FDP mit 2,4 Prozentpunkten.  

Wenn man die Blumenthaler Ergebnisse bei Bürgerschaftswahlen über einen längeren Zeitraum betrachtet, wird deutlich, dass nicht allein der Fukushima-Effekt mit seinen Ängste vor den Risiken von Kernkraftwerken zum Ergebnis von 2011 geführt hat. Zwar können Wähler von den Parteien, die damals noch die Atomkraft friedlich nutzen wollten, eine kleine Wählerflut von der CDU zu den Grünen ausgelöst haben, denen jetzt nach dem von der CDU beschlossenen Energiewende dieses Wahlmotiv fehlt. 

Jedoch haben die jetzigen Bremer Regierungsparteien auch zwischen 2007 und 2015 Wähleranteile verloren, und zwar in einem erheblich unterschiedlichen Maß. Während der Rückgang mit knapp zwei Prozentpunkten bei den Grünen relativ gering ist, verlor die Partei, die seit Menschengedenken den Bremer Bürgermeister stellt, über sieben Prozentpunkte. Relativ sehen diese Entwicklungen zweifellos anders aus, wenn man den erheblich geringeren Wähleranteil der Ökopartei bedenkt.

Dabei ist ganz leicht festzustellen, wem diese Verluste zugute gekommen sind; denn sowohl die Linke als auch die FDP sind heute ebenfalls kleiner als 2007.

Rein rechnerisch sind es die Gruppen, die von Politologen in der Regel als rechts von der CDU angesiedelt werden, also die AfD und die BiW, die bei der Bürgerschaftswahl jetzt 18,9 % erreicht haben. Damit kann dieser Wählerblock, der teilweise außerhalb des klassischen Parteiensystem steht, in Blumenthal fast jeden fünften Wähler für sich gewinnen.

Das ist jetzt bedingt durch die Ausgangsereignisse ein ungewöhnlich hoher Wert. Er steht jedoch gerade in Blumenthal und dem übrigen Bremer Norden in einer Tradition, die im letzten Jahrzehnt bis zum Erfolg der Schill-Partei zurückreicht, die 2004 auf Anhieb 10,8 % der Wähler gewann, was damals für Bremen der Spitzenwert war. 

Höhere Anteilswert, die ein breiteres politisches Interesse auf Blumenthal lenkten, waren die relativ kleinen Stimmengewinne von zwei extrem rechten Parteien, die für den Einzug in den Blumenthaler Beirat reichten. Das gelang 2007 mit 4,2 % der DVU und nach deren Auflösung bei der Wahl im Jahr 2011 der Nachfolgepartei NPD mit 3,9 %.



Anteile der Parteien in den Bürgerschaftswahlen 2007 - 2015 im Stadtteil Blumenthal



Partei
2015
2011
2007
SPD
36,8
44,0
44,1
Grüne
7,1
14,1
8,8
CDU
23,5
18,7
26,0
Linke
6,4
4,6
8,4
BiW
12,0
7,6
-
FDP
3,8
1,4
4,5
Piraten
1,3
1,6
-
AfD
6,9
-
-
PARTEI
1,1
-
-
NPD/ DVU
-
3,9
4,2

Die in dieser Tabelle erfassten Verschiebungen des Blumenthaler Wählerverhaltens lassen rein rechnerisch in dem kurzen betrachteten Zeitraum nur einen Schluss zu, wenn man nicht an komplizierte Wählerwanderungen über mehrere Stationen glauben will. Der SPD-Anteil und in einem sehr viel geringeren Maße der der Grünen sind zwischen 2007 und 2015 gefallen, weil die Wähler der beiden Parteien zu Hause geblieben sind oder direkt für die AfD bzw. die BiW gestimmt haben. Dabei ist es recht unwahrscheinlich, dass sich in dieser Zeitspanne ihre grundlegenden politischen Einstellungen geändert haben. Viel naheliegender ist es, dass die mit dem Verhalten des Ortsamtes und der Sozialsenatorin am 17. Oktober nicht einverstanden waren und das jetzt mit Stimmen für die Opposition ausgedrückt haben, die damals als Facebookgruppe entstanden ist. Es ist also eine Wählerreaktion, die in jedes Bilderbuch einer Demokratie passt.



                             Wahlplakat mit dem BiW-Spitzenkandidaten für Blumenthal


Die Epizentren Farge und Rekum


Aber auch Blumenthal besitzt wie die anderen Stadtteile seine unterschiedlichen Ortsteile. Das gilt spätestens seit dem 17. Oktober in ganz besonderer Weise für Farge und Rekum. Hier sehen sich die Einwohner von der nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit diskutierten Entscheidung einer Unterbringung jugendlicher Intensivstraftäter in einem Wohngebiet an der Grenze beiden Ortsteile unmittelbar betroffen. Ihnen geht es daher nicht um eine theoretische Erörterung des rechtlichen Verfahrens und die möglichen sozialpädagogischen Konzepte. Vielmehr haben sie Angst um ihre Kinder, um ihre Frauen, um sich und um ihr Eigentum.

Das hat sich bereits bei der Formierung der Facebookgruppe "Rekumer Str. 4 Nicht mit uns" gezeigt. Mit Spannung musste daher jetzt das Wahlergebnis erwartet werden, nachdem inzwischen etwa ein halbes Jahr seit dem Einzug der ersten Jugendlichen vergangen ist. In dieser Zeit hat es bisher zwar zahlreiche Polizeieinsätze und eine intensive Fluktuation von Jugendlichen gegeben, aber keine Straftatbestände vor Ort.

Diese mögliche "Abkühlungsphase" hat jedoch offenbar nur wenig an der Einstellung der Einwohner und Wähler geändert; denn in Farge wurden SPD und Grüne mit einem Minus von 18 Prozentpunkten "bestraft, während die BiW als Speerspitze des Protests 10 Prozentpunkte gewonnen hat.

 
Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in Farge (in %)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
35,4
45,1
-9,7
Grüne
6,6
14,5
-7,9
CDU
24,4
19,6
+4,8
Linke
5,0
3,9
+1,1
BiW
16,6
7,0
+9,6
FDP
3,8
1,0
+2,8
Piraten
1,5
1,2
+0,3
AfD
4,8
-
+4,8
PARTEI
0,6
-
+0,6
Tierschutz
1,5
-
+1,5


Noch deutlicher waren die Verluste der Regierungsparteien in Rekum, wo sie bei knapp 20 Prozentpunkten liegen. Hier hat jedoch stärker als in Farge die CDU profitiert, die fast genau so viele Stimmen hinzugewonnen hat wie der Sieger, die BiW. In beiden Fällen waren es hier knapp 8 Prozentpunkte.

Als Ursachen liegen hier zwei eher individuelle Tatbestände nahe, wenn der Spitzenkandidat der BiW in Farge wohnt und die CDU in Rekum besonders gut organisiert und vernetzt ist.


Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in Rekum 
(in %)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
31,2
44,5
-13,3
Grüne
6,3
12,7
-6,4
CDU
29,2
21,6
7,6
Linke
4,3
2,4
1,9
BiW
16,9
9,1
7,8
FDP
3,6
1,4
2,2
Piraten
0,8
1
-0,2
AfD
5,6
-
5,6
PARTEI
0,9
-
0,9
Tierschutz
1,1
-
1,1



Diese politischen Verschiebungen unter den Wählern im räumlichen Zentrum der Kontroverse werden noch auffallender, wenn man die Resultate der Beiratswahl in Rekum betrachtet, bei der die AfD nicht kandidiert hat:


Die Anteile der Parteien in der Beiratsswahl 2015 in Rekum 
(in %)


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
29,4
40,0
-10,6
Grüne
7,0
13,4
-6,4
CDU
30,8
24,8
+6,0
Linke
4,8
3,0
+1,8
BiW
23,1
9,1
+14,0
FDP
2,4
1,4
+1,0
Piraten
0,8
1,3
-0,5
PARTEI
1,8
-
+1,8

Datenquellen: http://www.wahlen-bremen.de/app/ltw2015laab.html



                                                          CDU-Wahlplakat




BiW und AfD: zwei austauschbare Listen ?


Manchmal helfen Zufälle in der Wirklichkeit dabei, dass sich Fragen relativ einfach beantworten lassen, für die sonst umfangreiche Befragungen und Studien notwendig sind. Eine solche Chance bietet der Teilnahmeverzicht des AfD-Kandidaten bei der Beiratswahl in Blumenthal. Damit standen in diesem Stadtteil die AfD-Anhänger, die in der Bürgerschaftswahl ihrer Wunschpartei ihre Stimme gegeben hatten, vor der Entscheidung, wie sie sich bei de Beiratswahl verhalten sollten. Praktisch lagen dabei Stimmabgaben für die BiW sehr nahe, da Anhänger beider Gruppierungen in der Facebookgrupppe zusammengearbeitet hatten, die erst Fritjof Balz zu einem bekannten Lokalpolitiker wurde. Das zeigte sich bei der Auszählung der Personenstimmen für den Beirat. Dabei entfielen auf ihn 3.294 Stimmen Das ist erheblich mehr als die vierfache Anzahl, die der Spitzenkandidat der siegreichen SPD mit 742 erhielt.

Allerdings blieb bei der theoretischen Überlegung über das Verhalten der AfD-Anhänger offen, ob sie tatsächlich für alle zutrifft oder auch ein nennenswerter Anteil eine andere Zweitpartei wie die CDU bevorzugt.


Die Stimmenanteile von AfD und BiW in der Blumenthaler Bürgerschafts- und Beiratswahl 2015 (in %)



Ortsteil
BiW (Bürgerschaft)
AfD (Bürgerschaft)
Summe
BiW (Beirat)
Differenz
Blumenthal
9,5
7,6
17,1
16,2
-0,9
Farge
16,5
4,8
21,3
22,4
-1,1
Lüssum-Bockhorn
11,5
7,5
19,0
17,8
-1,2
Rekum
16,9
5,6
22,5
23,1
0,6
Rönnebeck
11,2
6,7
17,9
17,1
-0,8
Blumenthal (Stadtteil)
12,0
6,9
18,9
18,4
-0,5



Wie die Zahlen der Tabelle überzeugend zeigt, mussten sich die AfD-Anhänger in Blumenthal keine schlaflosen Nächte machen, als sie erfuhren, dass ihre Partei nicht selbst für den Beirat kandidierte. Es gibt jedenfalls kaum einen Unterschied zwischen den addierten Anteilen von AfD und BiW in der Bürgerschaftswahl und den BiW-Werten bei der Beiratswahl. Zumindest in Blumenthal kann man daher von einer recht einheitlichen BiW-AfD-Gruppe 
sprechen.

Für die AfD-Anhänger war es damit kein Problem, für ihre Partei bei der Beiratswahl einen zumindest fast gleichwertigen Ersatz zu finden. Kann man daraus jedoch schließen, dass die Partei AfD und die Wählervereinigung BiW dieselben Wähler ansprechen?

Wenn man die ökologischen Korrelationen für Bremen-Nord und vor allem für Blumenthal analysiert, kann davon keine Rede sein. Hier findet man für die Verteilungen der Anhänger teilweise konträre Zusammenhänge mit den Sozialindikatoren. Mit anderen Worte sind die AfD und die BIW jeweils in Ortsteilen stark, die einen unterschiedlichen Charakter besitzen. Das veranschaulicht der Auszug aus dem Bremer Wahlatlas weiter unten. Die BiW haben danach in Farge und Rekum ihre Hochburgen die AfD hingegen in den Ortsteilen Blumenthal und Lüssum.



Ökologische Korrelationen der Anteile von BiW und AfD in Blumenthal und Bremen-Nord in der Bürgerschaftswahl 2015

Wahl- oder Strukturindikator
BiW in Blumenthal
BiW in Bremen-Nord

AfD in Blumenthal
AfD in Bremen-Nord
Wahlbeteiligung 2015
-0,91
-0,26

-0,86
-0,59
Anteil ungültiger Stimmen
-0,95
0,31

0,89
0,55
Unter 18
-0,64
0,22

0,74
0,25
18-65
0,58
0,35

-0,44
-0,24
Wohndauer
0,94
0,42

-0,88
-0,58
Anteil Migranten
-0,89
-0,16

0,89
0,66
Mobilitätsquote
-0,88
-0,12

0,71
0,24
Einpersonenhaushalte
-0,82
-0,47

0,63
0,43
Haushalte mit Kindern
0,32
0,41

-0,01
-0,11
Gymnasiastenanteil
0,68
-0,54

-0,68
-0,25
Arbeitslosenziffer
-0,83
0,09

0,80
0,58
Hartz IV-Empfänger (Anteil)
-0,87
-0,07

0,87
0,63
Jahreseinkommen (2007)
0,91
-0,08

-0,79
-0,39
Einfamilienhäuser
0,91
-0,28

-0,80
-0,70
Wohnungsgröße
0,87
0,10

-0,76
-0,70
Quelle: Wahlatlas


Diese Abweichung lässt sich relativ leicht mit einigen groben Stichworten kennzeichnen. Die BiW haben vor allem ihre Wähler dort gefunden, wo innerhalb von Blumenthal die Einkommensindikatoren relativ positiv sind. Man kann daher keineswegs von Gebieten mit vielen Empfängern von Transferzahlungen und niedrigem Einkommen sprechen. Das gilt zumindest im Vergleich zu den AfD-Wählern und den BiW-Wählern in anderen Ortsteilen außerhalb von Blumenthal.

Ein zweiter Faktor, der den Unterschied zwischen den Blumenthaler AfD- und BiW-Wählern ausmacht, ist die Wohndauer. So findet man die Wutbürger vorwiegend in Ortsteilen, in denen die Einwohner relativ lange gemeldet sind. Daher ist auch die Umzugshäufigkeit relativ gering. 

Der typische Blumenthaler BiW-Wähler ist damit kein wurzelloser Radikaler, sondern ein Bürger, der in einer intakten sozialen Umgebung lebt. Hier gibt es nicht nur fast ausschließlich Singles, sondern auch Familien mit Kindern, was die heftige Reaktion auf die Maßnahmen der Bremer Verwaltung vom 17. Oktober erklärt.

Auch wenn manche Politiker das anders sehen möchten und weiter nach Belegen für ein rechtspopulistisches Klischee suchen (Theiner), können hier, wie auch in vielen anderen Fällen, ganz unbestechliche Zahlen den tatsächlichen Sachverhalt an den Tag bringen. Darin kann man ehe Hinweise auf die Sorgen um die Familien und auf die Wut auf eine Verwaltung finden, die mit einer schlecht vorbereiteten fragwürdigen Maßnahme in einer Nacht-und-Nebel-Aktion Tatsachen schaffen wollte.




Stimmenanteile von AfD und BiW in der Bürgerschaftswahl 2015 in Bkumenthal (dunkel: hoher Wert) (Quelle: Wahlatlas)


Die CDU als kleinerer Gewinner

Die These, dass nicht eine generell feindliche Haltung gegenüber Flüchtlingen (Theiner) das Blumenthaler Wahlergebnis geprägt hat, wird auch durch die Gewinne der CDU unterstützt, die sich hier ebenfalls deutlich vom Vorgehen der Verwaltung abgesetzt hat, jedoch auch Slogans vor allem der BiW kritisierte.



Die Entwicklung der Wähleranteile der CDU in den Blumenthaler Ortsteilen 2011-2015 (in %)

Ortsteil
Bürgerschaft 2015
Bürgerschaft 2011
Differenz
2011-5
Beirat
2015
Beirat 2011
Differenz
2011-5
Differenz (Bürger-
schaft-Beirat)
Blumenthal
23,7
19,2
4,5
24,3
20,1
4,2
-0,6
Farge
24,4
19,6
5,1
23,8


23,8
2,4
+0,6
Lüssum-Bockhorn
20,7
16,9
3,8
25,0
19,9
6,1
-4,3
Rekum
29,2
21,6
7,6
30,8
24,8
6,0
-1,6
Rönnebeck
24,4
19,3
5,1
25,0
19,9
5,1
0,6


Auch diese größte Bremer Oppositionspartei hat vor allem in den Ortsteilen Rekum und Farge (vgl. Tabelle) deutlich höhere Zugewinne erreicht als in den anderen Teilen Blumenthals und auch im Bremer Durchschnitt. Diese Tendenz wurde allerdings bei der Beiratswahl offenbar durch andere Effekte überlagert, da es hier zwar auch Gewinne gab, die allerdings ein abweichendes räumliches Verteilungsmuster aufweisen. Möglicherweise sind hierfür die aufgestellten Kandidaten und ihre jeweilige örtliche Herkunft verantwortlich.


Kandidatenherkunft und Erfolge bei der Beiratswahl


Ein Blick auf die Kandidatenlisten der Parteien, die mehr als eine Handvollkandidaten aufgestellt hatte, sodass eine Verteilung auf die Ortsteile möglich wurde, zeigt deutliche lokale Schwerpunktbildungen. Danach entsprechen die Wohnorte der Kandidaten, wenn man berücksichtigt, dass die Blumenthaler Einwohner zu jeweils einem Drittel in Blumenthal und Lüssum leben, dieser Verteilung nur selten oder gar nicht.

Bei der SPD kamen nur zwei der fünfzehn Kandidaten aus Lüssum, während Farge und Rekum deutlich überrepräsentiert waren. Eine derartige Abweichung war noch deutlich bei den Grünen, die fast ausschließlich Kandidaten aus Lüssum aufgestellt hatten, wo vier ihrer fünf Kandidaten wohnen. Bei der CDU schließlich kam nur jeweils ein Kandidat aus den beiden großen Ortsteilen, hingegen vier aus Rönnebeck und drei aus Rekum.

Diese örtliche Kandidatenauswahl scheint das Ergebnis der Beiratswahl beeinflusst zu haben, da etwa die Grünen bei der Stimmabgabe für die Beiratswahl in Lüssum deutlich besser abgeschnitten haben als bei der Bürgerschaftswahl (vgl. Tabellen im Anhang II).  


Die Wähler der Blumenthaler und der Bremer Linken


Wenn man die Verteilung der Sozialindikatoren und der Anteilen der Partei „Die Linke“ in den Blumenthaler Ortsteilen betrachtet, findet man dabei erhebliche Unterschiede gegenüber den Korrelationskoeffizienten für Bremen. Teilweise sind sie methodisch bedingt, da die errechneten Zusammenhänge bei einer geringeren Fallzahl von Fällen praktisch immer höher sind.



Strukturindikator
Linke (Blumenthal)
Linke (Bremen)
Wahlbeteiligung 2015
-0,97
0,07
Ungültige Stimmen
0,89
-0,20
Unter 18
0,77
-0,39
18-65
-0,22
0,60
Anteil Migranten
0,91
0,11
Mobilitätsquote
0,76
0,44
Einpersonenhaushalte
0,79
0,74
Haushalte mit Kindern
-0,07
-0,50
Gymnasiastenanteil
-0,40
-0,30
Arbeitslosenziffer
0,96
0,25
Hartz IV-Empfänger (Anteil)
0,99
0,16
Jahreseinkommen (2007)
-0,90
-0,30
Einfamilienhäuser
-0,91
-0,49
Wohnungsgröße
-0,93
-0,63
Quelle: Wahlatlas


Beim Vergleich der Koeffizienten zeigt sich verglichen mit Bremen eine erhebliche Konzentration von Werten nahe r = 1 bzw. r = -1 für die Sozialindikatoren, die üblicherweise mit sozial benachteiligten Gebieten verbunden werden. Das gilt nicht nur für den Anteil der Hartz IV-Empfänger (r = 0,99) und der Arbeitslosen (r = 0,96), sondern in fast gleicher Größenordnung für ein niedriges Jahreseinkommen, wenige Einfamilienhäuser und eine geringe Wohnungsgröße im Ortsteil. Auch die übrigen Daten passen in dieses Bild, das ein typisches Bremer WiN-Gebiet beschreibt. Hierzu gehören auch eine hohe Migrantenquote und sogar die Merkmale des Wahlverhaltens. In den Hochburgen der Linken wählt man nicht unbedingt und hat auch teilweise Schwierigkeiten bei einer Abgabe gültiger Stimmen.

Demgegenüber baute die Bremer Linke insbesondere in dieser Wahl ihre Konzentration auf die WiN-Gebiete und die Hartz IV-Wähler ab. Zumindest besitzt sie in den Hochburgen der Grünen, also den innenstadtnahen Altbaugebieten, ein zweites kräftiges Standbein. Das deuten die Koeffizienten an, die sich auf die Kinder und Familien mit Kindern im Ortsteil beziehen. Die Linke hat danach höhere Anteile in Wahlbezirken, in denen relativ wenige Kinder und Familien mit Kindern leben, während das in Blumenthal anders ist. Dabei findet man bei dem Anteil der unter 18-jährigen sogar einen gegenläufigen Zusammenhang, wie das unterschiedliche Vorzeichen anzeigt. In Blumenthal sorgen die zahlreichen Kinder, die in WiN-Gebieten leben, für einen positiven Wert, den es aufgrund der Einpersonenhaushalte in den Altbaugebieten nicht gibt.



Die Wahlbeteiligung: teilweise Mobilisierung, teilweise weiter wachsendes Desinteresse



Der 17. Oktober blieb auch für die Mobilisierung der Wahlberechtigten nicht ohne Folgen. Das wird bei der Entwicklung der Wahlbeteiligung in den fünf Blumenthaler Ortsteilen augenfällig. Hier weisen mit Blumenthal, Lüssum und Rönnebeck gleich drei Ortsteile mit einer kaum noch zufälligen Einheitlichkeit einen Rückgang von -6,7 Prozentpunkten gegenüber der letzten Wahl auf. Dieser Wert liegt deutlich über dem negativen Trend für die Stadt Bremen insgesamt.


Die Wahlbeteiligung in den Blumenthaler Ortsteilen bei den Bürgerschaftswahlen 2011 und 2015

Ortsteil
Wahlbeteiligung 2015 (in %)
Wahlbeteiligung 2011 (in %)
Differenz (in Prozentpunkten
Blumenthal
41,5
48,2
-6,7
Farge
51,1
51,8
-0,7
Lüssum-Bockhorn
40,2
46,9
-6,7
Rekum
56,7
59,9
-3,2
Rönnebeck
46,7
53,4
-6,7
Blumenthal (Stadtteil)
44,0
49,8
-5,8
Bremen (Stadt)
52,1
57,0
-4,9
Quelle: http://www.wahlen.bremen.de/sixcms/media.php/13/Tab13_vorlaeufig.pdf

Anders haben sich allerdings die Wahlberechtigten in Farge und Rekum verhalten. So ist es mit einer geringfügig höheren Beteiligung in Farge sogar zu einer kleinen Mobilisierung von Nichtwählern gekommen. Das sieht in Rekum ähnlich, wenn auch nicht so ausgeprägt aus. Offenbar mussten also zwei teilweise skandalöse Probembearbeitungsversuche durch die Bremer Verwaltung und eine Mehrheit der Blumenthaler Beiratsmitglieder zusammenkommen, um die verbreitete politische Apathie in Blumenthal zu überwinden.

Insgesamt hat das trotzdem nicht ausgereicht, damit auch der Stadtteil insgesamt einen Trendwechsel bei der Entwicklung der Wahlbeteiligung ausweisen kann. Hier liegt der Rückgang um knapp einen Prozentpunkt über dem der Stadt Bremen, sodass Blumenthal bei der Spaltung unserer Gesellschaft, die Wahlforscher im Hinblick auf die Höhe der Wahlbeteiligung festgestellt haben, noch eindeutiger als das bisher ohnehin schon der Fall war, zu den sozial benachteiligten Stadtteilen zählt.



                                                    FDP-Flyer für Blumenthal



Statistischer Anhang

I) Die Parteien bei den Bürgerschafts- und Beiratswahlen 2015 in den Blumenthaler Ortsteilen


Blumenthal (Ortsteil)



Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in Blumenthal (Ortsteil) (in %)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
37,1
41,1
-4,0
Grüne
7,6
15,8
-8,2
CDU
23,7
19,2
+4,5
Linke
6,9
5,0
+1,9
BiW
9,5
7,6
+1,9
FDP
3,8
1,3
+2,5
Piraten
1,7
2,0
-0,3
AfD
7,6
-
+7,6
PARTEI
1,0
-
+1,0
Tierschutz
1,1
-
+1,1


Die Anteile der Parteien in der Beiratswahl 2015 in Blumenthal (Ortsteil) (in %)


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
36,3
36,9
-0,6
Grüne
7,8
17,3
-9,5
CDU
24,3
20,1
+4,2
Linke
8,2
6,8
+1,4
BiW
16,2
8,8
+7,4
FDP
3,1
1,4
+1,7
Piraten
1,9
2,0
-0,1
PARTEI
2,3
-
+2,3


Farge (Bürgerschaftswahl im Text oben)


Die Anteile der Parteien in der Beiratswahl 2015 in Farge
(in %)


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
34,4
42,6
-8,2
Grüne
6,7
13,8
-7,1
CDU
23,8
21,4
+2,4
Linke
5,8
5,0
+0,8
BiW
22,4
7,9
+14,5
FDP
3,6
1,2
+2,4
Piraten
1,4
1,3
+0,1
PARTEI
2,0
-
+2,0


Lüssum-Bockhorn


Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in Lüssum-Bockhorn (in %)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
38,5
45,2
-6,7
Grüne
7,9
13,4
-5,5
CDU
20,7
16,9
+3,8
Linke
7,7
5,8
+1,9
BiW
11,1
7,1
+4,0
FDP
3,4
1,7
+1,7
Piraten
1,1
1,4
-0,3
AfD
7,5
-
7,5
PARTEI
1,3
-
+1,3
Tierschutz
0,9
-
+0,9


Die Anteile der Parteien in der Beiratswahl 2015 in Lüssum-Bockhorn (in %)


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
37,1
41,6
-4,5
Grüne
6,7
14,6
-7,9
CDU
25,0
19,9
5,1
Linke
6,4
4,3
+2,1
BiW
17,1
8,7
+8,4
FDP
3,7
1,7
+2,0
Piraten
1,8
2,0
-0,2
PARTEI
2,2
-
+2,2


Rekum (im Text oben)


Rönnebeck

Die Anteile der Parteien in der Bürgerschaftswahl 2015 in Rönnebeck
(in %)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
37,6
45,4
-7,8
Grüne
5,9
13,6
-7,7
CDU
24,4
19,3
+5,1
Linke
5,5
3,4
+2,1
BiW
11,2
8,1
+3,1
FDP
4,8
1,5
+3,3
Piraten
1,4
1,5
-0,1
AfD
6,7
-
+6,7
PARTEI
1,1
-
+1,1
Tierschutz
1,5
-
+1,1


Die Anteile der Parteien in der Beiratswahl 2015 in Rönnebeck
(in %)


Partei
2015
2011
Differenz
SPD
37,1
41,6
-4,5
Grüne
6,7
14,6
-7,9
CDU
25,0
19,9
5,1
Linke
6,4
4,3
+2,1
BiW
17,1
8,7
+8,4
FDP
3,7
1,7
+2,0
Piraten
1,8
2,0
-0,2
PARTEI
2,2
-
+2,2




Blumenthal (Stadtteil)



Die Anteile der Parteien in der Beiratswahl 2015 in Blumenthal (Stadtteil) (in %)

Partei
2015
2011
Differenz
SPD
35,7
39,9
-4,2
Grüne
7,8
15,5
-7,7
CDU
24,0
20,0
+4,0
Linke
7,3
5,7
+1,6
BiW
18,4
8,5
+9,9
FDP
3,1
1,5
+1,6
Piraten
1,5
1,8
-0,3
PARTEI
2,1
-
+2,1



II) Unterschiede der Wähleranteile bei den Bürgerschafts- und Beiratswahlen



Die Entwicklung der Wählerteile der SPD in den Blumenthaler Ortsteilen 2011-2015
Ortsteil

Bürgerschaft 2015
Bürgerschaft 2011
Differenz
Beirat 2015
Beirat 2011
Differenz
Blumenthal
37,1
41,1
-4,0
36,3
36,9
-0,6
Farge
35,4
45,1
-9,7
34,4
42,6
-8,2
Lüssum-Bockhorn
38,5
45,2
-6,7
37,1
40,6
-3,5
Rekum
31,2
44,5
-13,3
29,4
40,0
-10,6
Rönnebeck
37,6
45,5
-7,9
37,1
41,6
-4,5
Blumenthal (Stadtteil)
36,8
44,0
-7,2
35,7
39,9
-4,2
Quellen:http://www.wahlen-bremen.de/app/otw2015-b02ab.html


Die Entwicklung der Wähleranteile der Grünen in den Blumenthaler Ortsteilen 2011-2015

Ortsteil
Bürgerschaft
2011
Bürgerschaft 2015
Differenz
Beirat 2011
Beirat 2015
Differenz
Blumenthal
15,8
7,6
-8,3
17,3
7,8
-9,5
Farge
14,5
6,5
-8
13,8
6,7
-7,1
Lüssum-Bockhorn
13,4
7,9
-5,5
15,5
9
-6,5
Rekum
12,7
6,3
-6,4
13,4
7
-6,4
Rönnebeck
14,6
6,7
-7,9
14,6
6,7
-7,9
Blumenthal (Stadtteil)
14,1
7,1
-7
15,5
7,8
-7,7


III) Ökologische Korrelationen für Blumenthal und Bremen-Nord



Ökologische Zusammenhänge für die Anteile von AfD und BiW in Blumenthal und Bremen-Nord


Wahl- oder Strukturindikator
BiW in Blumenthal
BiW in Bremen-Nord

AfD in Blumenthal
AfD in Bremen-Nord
Wahlbeteiligung 2015
-0,91
-0,26

-0,86
-0,59
Anteil ungültiger Stimmen
-0,95
0,31

0,89
0,55
Unter 18
-0,64
0,22

0,74
0,25
18-65
0,58
0,35

-0,44
-0,24
Über 65
0,06
-0,36

-0,21
0,02
Wohndauer
0,94
0,42

-0,88
-0,58
Anteil Migranten
-0,89
-0,16

0,89
0,66
Mobilitätsquote
-0,88
-0,12

0,71
0,24
Einpersonenhaushalte
-0,82
-0,47

0,63
0,43
Haushalte mit Kindern
0,32
0,41

-0,01
-0,11
Gymnasiastenanteil
0,68
-0,54

-0,68
-0,25
Arbeitslosenziffer
-0,83
0,09

0,80
0,58
Hartz IV-Empfänger (Anteil)
-0,87
-0,07

0,87
0,63
Jahreseinkommen (2007)
0,91
-0,08

-0,79
-0,39
Einfamilienhäuser
0,91
-0,28

-0,80
-0,70
Wohnungsgröße
0,87
0,10

-0,76
-0,70
Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes



Ökologische Zusammenhänge für die Stimmenanteile für die Linke in Blumenthal, Bremen-Nord und Bremen


Strukturindikator
Linke (Blumenthal)
Linke (Bremen-Nord)
Linke (Bremen)
Wahlbeteiligung 2015
-0,97
0,28
0,07
Ungültige Stimmen
0,89
-0,19
-0,20
Unter 18
0,77
0,02
-0,39
18-65
-0,22
0,25
0,60
Über 65
-0,37
-0,18
-0,49
Wohndauer
-0,77
0,07
-0,35
Anteil Migranten
0,91
-0,16
0,11
Mobilitätsquote
0,76
-0,21
0,44
Einpersonenhaushalte
0,79
0,28
0,74
Haushalte mit Kindern
-0,07
-0,04
-0,50
Gymnasiastenanteil
-0,40
0,39
-0,30
Arbeitslosenziffer
0,96
-0,15
0,25
Hartz IV-Empfänger (Anteil)
0,99
-0,17
0,16
Jahreseinkommen (2007)
-0,90
-0,41
-0,30
Einfamilienhäuser
-0,91
0,11
-0,49
Wohnungsgröße
-0,93
0,28
-0,63
Quelle: Wahlatlas des Stat. Landesamtes



                                                       Flyer der Linken für Blumenthal




Quellen

Statistisches Landesamt Bremen (Hg.), Wahlen im Land Bremen. 22. Mai 2011. Landtagswahl. Bremische Bürgerschaft. Teil 2: Ergebnisse in den Ortsteilen, Bremen 2015 (Statistische Mitteilungen Heft 113).

Statistisches Landesamt Bremen (Hg.), Wahlen im Land Bremen. 22. Mai 2011. Kommunalwahlen. Stadtbürgerschaft Bremen. Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven. Beiräte im Gebiet der Stadt Bremen, Bremen 2015 (Statistische Mitteilungen Heft 114).


Theiner, Jürgen, Die Rechten punkten im Norden. Höherer Stimmenanteil von BIW und AfD, in: Weser-Kurier vom 26.05.2015.


Wahlatlas

Bremen und Bremerhaven 2015

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